Noch um das Jahr 1900 gab es rund 2500 Apfelsorten in Deutschland, mittlerweile seien einige Hundert davon verschwunden, erklärt Pomologe Hans-Thomas Bosch. Der Fachmann für Äpfel nimmt derzeit für ein Projekt alle Apfelsorten im Bodenseeraum und den angrenzenden Regionen auf. "Wenn sich niemand um Apfelbäume kümmert, verschwindet auch das alte Obst", so Bosch. In Stehlings wurde der Pomologe fündig: In dem Eggenthaler Weiler züchtet Stefan Huber wohl als Einziger im Ostallgäu viele alte Apfelsorten.
Über 100 Obstbäume stehen bei Huber im Garten: Zwetschgen und Birnen, aber auch Kiwis und Aprikosen. Und vor allem Apfelbäume. Davon hat der 40-Jährige rund 45 Stück, die verblüffenderweise etwa 50 Sorten, darunter knapp 40 alte tragen. "Manche Bäume tragen zwei bis drei Sorten." Dafür veredelt Huber einige Bäume, indem er einjährige Triebe einer anderen Sorte mit Bast und Wachs mit einem Ast verbindet oder ihn unter die Rinde pfropft. Dann wächst der neue Trieb an dem Baum fest und sorgt für weitere Triebe. Dadurch tragen manche Bäume eine Apfelsorte auf der einen Seite oder oben und eine andere auf der anderen Seite oder unten. Schon als Kind war Huber sehr naturverbunden. Als sein Vater einen Nachbarhof kaufte, gehörte dazu auch eine kleine Apfelbaumplantage. Die schrumpfte bis auf etwa 20 Bäume, da sich zunächst niemand darum kümmerte.
Doch in den 80er Jahren pflanzte Huber neue und seit den 90ern züchtet er gezielt alte Sorten wie Dincodlein, Goldparmäne oder Transparent.
Knackig bis mehlig
In Großraum Bodensee gibt es noch rund 600 Sorten. "Sie unterscheiden sich in Form und Farbe, in Wachstum und Geschmack", erklärt Bosch. Die Konsistenz kann knackig bis mehlig sein, der Geschmack sauer bis süß, die Farben Hellgelb über Grün bis Dunkelrot und die Größe von einer Aprikose bis zur Honigmelone. Kenner unterschieden Äpfel wie ein Weinexperte den Rebensaft. Dabei seien gängige und neue Apfelsorten aber eher weniger interessant, denn sie sind auf den Massengeschmack getrimmt - bloß keinen Eigencharakter. "Deshalb braucht man für einen guten Apfel eine gute Basis", meint Bosch.
Und das freiwillige Engagement des Züchters auch gegen den Strom des Massengeschmacks zu schwimmen. Im Allgäu gebe es etwa eine Handvoll Züchter - bei Huber entdeckte Bosch sogar noch unbekannte alte Sorten.
Der hat sich inzwischen zu einem Experten gemausert, der seine Apfelbäume gezielt schneidet, um einen gleichmäßigen Ertrag zu erreichen. Voriges Jahr erntete der selbstständige Landschaftsgärtner rund 1,5 Tonnen aus seinem Garten: Knapp 600 Kilo lagerte er in seinem Naturkeller mit Lehmboden - Vogelsandbeschichtung und Ziegelbelag inklusive - was eine hohe Luftfeuchtigkeit bedeute, erläutert Huber. "Der Rest wird zu Apfelsaft und Most verarbeitet. Damit versorge ich die ganze Verwandtschaft.
" Doch heuer wird es wohl nicht so viel: "In der Bodenseeregion wird die Ernte relativ gut. Aber in höheren und raueren Lagen wie im Allgäu wohl dürftig, denn die Witterung in der Blütezeit war schlecht", so Bosch. Und Huber präzisiert: "Durch den ganz schlechten Mai mit viel Regen gab es kaum eine Bestäubung. Danach sorgten Feuchtigkeit, trübes Licht und Nebel für Schorf, Glasigkeit oder Mehltaubefall."
Dennoch konnte Huber auch heuer seine Äpfel genießen, denn einen kleinen Teil hatte er zu Dörrobst verarbeitet.