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Dem Tod ein Gesicht gegeben

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Dem Tod ein Gesicht gegeben

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    Von unserem Redaktionsmitglied Volker Klüpfel, Memmingen - Über 50000 Besucher in Dresden, Tausende auch in Kassel und Mainz, dazu jede Menge Preise - die Ausstellung 'Noch mal Leben' zieht die Massen an. Und das, obwohl sie sich um ein Thema dreht, das uns zwar alle umtreibt, aber meist weit weggeschoben wird. Der volle Titel der Ausstellung lautet: 'Noch mal Leben vor dem Tod'. 'Eben deswegen ist die Ausstellung so erfolgreich', sagt dagegen Walter Schels mit Blick auf die in unseren Breiten gängige Verdrängungspraxis. Er hat die aufwühlenden Schwarz-Weiß-Porträts toter Menschen geschaffen, die im Memminger Kreuzherrnsaal zum ersten Mal in Süddeutschland zu sehen sind. 'Möchten Sie sterben?' Mit dieser Frage zwingt Schels seine Gesprächspartner gerne zum Nachdenken. Sterben - wer möchte das schon. Und doch wissen wir alle, dass der Tag kommen wird. 'Wissen und akzeptieren sind zwei verschiedene Dinge', sagt Schels. Treffer! Mit zwei kurzen Bemerkungen hat er die ganze Problematik dieses Themas offen gelegt. Der Tod, der doch ein so elementarer Teil unseres Lebens ist, wird von uns oft aus demselben verbannt. 'Weil wir Angst haben', glaubt Schels. Auch er hatte Angst, und um sie zu überwinden begann er das Projekt, das nun in Form einer Ausstellung und eines Buches die Massen bewegt. Das Thema Tod ist laut Schels allgegenwärtig, dazu brauche man nur Nachrichten zu schauen. Doch das individuelle Sterben habe man ins Abseits geschoben. 'Früher gab es Gesichtsmasken, die man am Toten modelliert hat. Das hat sich mit dem Aufkommen der Fotografie verloren. Das Paradoxe daran: Tote wurden nicht mehr fotografiert.' Doch der Tod lässt sich nicht wegschieben, spätestens am Ende des Lebens ist er da.

    Und mit ihm die Angst. Die könnten seine Bilder und die Texte der Journalistin Beate Lakotta nehmen. 'Viele gehen erleichtert aus der Ausstellung', hat der Fotograf beobachtet. Dafür war er bereit, einen beschwerlichen Weg auf sich zu nehmen. Nicht nur, dass er sich seiner eigenen Angst stellen musste, einen toten Menschen zu fotografieren. Auch das Vertrauen der Sterbenden zu gewinnen sei ein sensibler, langwieriger Prozess gewesen. Über zwei Jahre hieß das auch: Keine Reisen unternehmen, auf Abruf bereit stehen, denn der Tod kommt ohne Voranmeldung. Dabei hat er selbst zum Sterben eine pragmatische Einstellung. Ins Unvermeidliche hat er sich gefügt, übers 'Danach' macht er sich keine Gedanken: 'Wenn nichts, kommt, ist's mir recht, wenn was kommt, ist's auch gut.' Seine Bilder sprechen eine poetischere Sprache, doch will er sie nicht als reine Kunst bezeichnen. Sie sind auch Dokumentation. 'Das eine gibt es nicht ohne das andere', sagt der Fotograf, der dem Tod ein Gesicht gab. Natürlich sind seine Bilder auch inszeniert, aber er will aus dem Tod keine Show machen, wie etwa Gunther von Hagens mit seinen Körperwelten. Dass seine Fotos mit dem Kreuzherrnsaal nun in einer ehemaligen Kirche ausgestellt werden, nimmt er zur Kenntnis, ohne dem viel Bedeutung beizumessen. Er selbst hält Religion für notwendig, um 'die dunkle Seite in uns zu kontrollieren'. Dass etwa die katholische Kirche die Menschen mit Angst in Schach hält prangert er dagegen an. Er will nicht Angst machen, sondern Angst nehmen. Und schlägt mit seiner Kunst nebenbei dem Tod selbst ein Schnippchen. Als creator spiritus, als Schöpfergeist, schenkt er zwar kein Leben, aber im Falle seiner Modelle schafft er etwas Ähnliches: Er verleiht ihnen ein Stück Unsterblichkeit. i Die Ausstellung dauert bis 9. Oktober Dienstag bis Sonntag und feiertags jeweils von 10 bis 18 Uhr.

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