Eva Matyok-Bruscha und Manfred Girsig haben dort Platz genommen, wo sonst ihre Schüler sitzen: auf einer Schulbank im Zimmer einer zehnten Klasse. Die beiden Hauptschullehrer der Lindenschule stehen kurz vor ihrer Pensionierung und starten heute in ihr Letztes von rund 40 Schuljahren. Gemeinsam lassen sie die Vergangenheit Revue passieren und plaudern über positive und negative Entwicklungen im Schulalltag.
"Im Laufe der Jahre mussten wir immer mehr Erziehungsaufgaben übernehmen", erinnert sich Eva Matyok-Bruscha, die 1972 von der Amendinger Volksschule an die Memminger Lindenschule wechselte. "Viele Eltern meinen, das sei unsere Pflicht", fügt Kollege Girsig an. Vor allem die männlichen Lehrkräfte würden zunehmend in eine Vorbild-Rolle rücken: "Vielen Schülern fehlt zu Hause die Vater-Figur, weil die Eltern getrennt leben und sie ihren Papa nur am Wochenende sehen", beobachtet Matyok-Bruscha.
Im Lehrerberuf gebe es aber immer weniger Männer: "Wir Frauen dominieren. In Kindergärten, Grundschulen und zunehmend auch an weiterführenden Schulen." Um Jugendlichen auch Werte zu vermitteln, sei die Haltung des Pädagogen wichtig: "Wie du bist und mit ihnen umgehst", sagt Girsig. Man dürfe sich keine Blöße geben und müsse authentisch bleiben: "Verstellst du dich, merken es die Schüler sofort."
Modeerscheinungen
Problemschüler gebe es heute wie früher. Doch insgesamt hätten Lernbereitschaft und Konzentrationsfähigkeit nachgelassen: "Computerspiele, Internet und Modeerscheinungen lenken die Jugendlichen ab. Man will dazu gehören. Das kostet Energie. Plötzlich läuft die halbe Schule in denselben Schuhen rum", erzählt Matyok-Bruscha. Dieser gesellschaftlichen Entwicklung sei der Lehrplan angepasst worden: "Das Niveau ist gesunken. Daran ist die Bildungspolitik schuld", betont Girsig. "Wir unterrichten heute ein Drittel von dem, was früher gefordert war", sagt auch Matyok-Bruscha. Es sei aber wichtig, Schüler zu fördern: "Sonst werden sie bequem.
" Positiv bewerten die beiden Lehrer, dass die Schüler heutzutage besser auf das Berufsleben vorbereitet würden als früher.
Um die Jahrtausendwende kam der Mittlere-Reife-Zweig, für die Hauptschüler wurde der mittlere Bildungsabschluss möglich. "Das hat Vorteile. Der Nachteil ist, dass die guten Schüler in die Mittlere-Reife-Klasse wechseln und in den Regelklassen als Leistungsträger fehlen", so Matyok-Bruscha. Gleiches sei bei Einführung der sechsstufigen Realschule geschehen: "Die mit den guten Noten gehen gleich auf die Realschule und fehlen in den fünften und sechsten Klassen. Darum sind wir nicht mehr so bunt gemischt und unsere Schüler fühlen sich wie auf dem Abstellgleis."
Ihrem Ausscheiden sehen die beiden gelassen entgegen: "Fertig ist fertig", sagt Matyok-Bruscha und macht eine schnelle Handbewegung, als wolle sie das Gesagte untermauern. Girsig fügt an: "Ich lache nicht, ich weine nicht, ich schließe einfach ab."