Es ist ein sonniger Montagvormittag. Wir sitzen bei einer Tasse Tee im externen Beratungsbüro des Frauenhauses Memmingen und unterhalten uns mit Sevgi*. Sie lebt mit ihren beiden Kindern seit November 2015 im Frauenhaus. 'Davor war ich eine Zeit lang in einem anderen Frauenhaus in Bayern', erzählt die 34-Jährige, 'bevor ich wieder zu meinem Freund zurückgekehrt bin'. Nach ihrer Rückkehr ins gemeinsame Zuhause musste sie aber erkennen, dass die Situation mit dem drogenabhängigen Mann sich nicht besserte. Sie entschloss sich, zum zweiten Mal mit den Kindern auszuziehen.
Keine leichte Entscheidung. Bekannte und Familie versuchten immer wieder, die junge Mutter dazu zu überreden, wegen der Kinder beim Mann zu bleiben. Aber das ist absolut der falsche Tipp, sagt Sevgi und nippt an ihrer Teetasse. Ich habe meine Kinder überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Beide waren Bettnässer. Ich habe mir eingeredet, dass das in dem Alter normal wäre. Seitdem die drei im Frauenhaus leben, haben der 7-jährige Junge und das 6-jährige Mädchen aber nicht mehr ins Bett gemacht.
"Kinder sind auch Symptomträger. Selbst wenn die Frau noch nicht erkennt, dass sie etwas tun muss, zeigen oft die Kinder durch massive Verhaltensauffälligkeiten, dass etwas nicht stimmt", sagt Gisela Müller*. Die 59-jährige Diplom-Sozialarbeiterin betreut seit 18 Jahren Frauen, die im Memminger Frauenhaus Zuflucht und Hilfe suchen. Bei Sevgi sieht sie eine enorme Entwicklung. Anfangs habe die 34-Jährige noch oft überlegt, wieder zurückzukehren. Mittlerweile habe sie die Beziehung zu ihrem Ex abgeschrieben, möchte ein selbstbestimmtes Leben führen und ist auf der Suche nach einer eigenen Wohnung.
Zuflucht und Beratung
Gisela Müller und ihre beiden Kolleginnen unterstützen die Frauen bei der Wohnungssuche, begleiten sie bei Behördengängen und im Falle einer Anzeige zur Polizei. Die Betreuerinnen helfen bei Bedarf auch bei der Kommunikation mit dem Kindsvater. Mein Ex ist trotz allem ein toller Papa, sagt Sevgi. Regelmäßig dürfen die Kinder ihren Vater besuchen. Die Mutter fährt die beiden nur zu den Treffen, möchte den Mann selbst aber nicht treffen. Ob sich seine Drogensucht gebessert hat, fragen wir. "Er sagt, er hat es im Griff. Aber genau weiß ich es nicht", sagt Sevgi. Nachdem der Mann vorübergehend in Nordrhein-Westfalen gelebt hat, ist er jetzt in die Nähe von Memmingen gezogen, um seine Kinder öfter zu sehen. "Die Kinder kommen immer gut gelaunt zurück und sagen oft ,Mama, heirate doch den Papa!', aber das ist für mich kein Thema mehr."
Er weiß also, wo seine Familie lebt. "Dass wir in Memmingen sind, weiß er schon. Aber wo das Frauenhaus ist, darf er nicht wissen", sagt Sevgi. Wenn eine Frau sich per Telefon oder E-Mail an das Frauenhaus wendet, kommt es zuerst einmal zu einer Beratung, hier in den externen Räumen. "Das Frauenhaus ist anonymer Zufluchtsort. Wenn Gewalt mit im Spiel ist und die Männer herausfinden, wo ihre Frauen sind, dann können auch Mitarbeiter und die anderen Bewohnerinnen in eine bedrohliche Situation kommen", sagt Gisela Müller. Um sich selbst zu schützen, möchte auch sie anonym bleiben. "Wenn die Frauen zu uns kommen, dann müssen sie unterschreiben, dass sie niemandem diesen Ort verraten." Auch ihre SIM-Karte müssen sie abgeben, damit man sie nicht orten kann. "Aber natürlich haben alle einen Schlüssel und können jederzeit das Haus verlassen, wir sind ja kein Gefängnis", sagt die Sozialarbeiterin.
Aktuell leben drei Frauen mit vier Kindern unter diesen Bedingungen im Frauenhaus. Platz gibt es für fünf Frauen und zehn Kinder, wobei sich jede Familie das Zimmer teilt. Wohnzimmer, Küche und Bad stehen wie in einer WG allen zur Verfügung. Mit der Privatsphäre ist es da zwar oft schwierig, trotzdem tut den Frauen auch der Austausch gut. "Wenn die Kinder im Bett sind, sitzen wir oft zusammen und lachen", sagt Sevgi. Die Gespräche mit anderen Frauen, denen es ähnlich geht, helfen ihr. Auch die Kinder finden es schön, zu Hause mit anderen Kindern spielen zu können. Denn Freunde vom Kindergarten oder der Schule können sie nicht mitbringen. Gisela Müller gießt sich eine frische Tasse Tee ein. "Die Lehrer wissen natürlich Bescheid, aber zu anderen Kindern und Eltern dürfen die Kinder nicht sagen, wo sie wohnen", sagt sie.
Keine Blumen zum Muttertag
Der Muttertag steht vor der Tür. Das muss in einem Frauenhaus ein ganz besonderer Tag sein, denken wir. Dabei ist er das gerade nicht. "Die Mutter-Kind-Beziehung wird durch das Leben hier viel intensiver", sagt Gisela Müller. Nicht nur dadurch, dass Mütter und Kinder zusammen in einem Zimmer wohnen. "Ich höre meinen Kindern jetzt wieder zu", sagt Sevgi. Sie ist nicht mehr so sehr mit sich selbst und ihren Problemen beschäftigt. Das gemeinsame Leben ist ein anderes. "Früher hat mein Mann am Muttertag einen Blumenstrauß für mich besorgt", sagt die 34-Jährige. Die Drogensucht und die Gewalttätigkeit des Mannes kamen plötzlich. Die Partnerschaft veränderte sich. Er wurde handgreiflich gegenüber Sevgi. Den Kinder hat er nie etwas getan.
Weil das ganze Familienleben sich verändert hat und die junge Mutter inzwischen ein neues Leben mit den Kindern plant, hier in Memmingen, hat sich auch die Bedeutung dieses Tages geändert. Er ist jetzt nicht mehr so wichtig. Meist wird aber doch in der Schule und im Kindergarten für die Mütter gebastelt. Und auch im Frauenhaus gibt es eine Teilzeitkraft, die einen Tag pro Woche mit den Kindern spielt und bastelt. "Die werden schon was vorbereiten, aber das sollen die Mütter natürlich nicht wissen", sagt Gisela Müller und zwinkert Sevgi zu. "Außerdem bekommen wir hier so viel mehr", sagt die 34-Jährige, "da brauche ich keine Blumen".
*Namen von der Redaktion geändert.