Kempten/Lindau | mb | Das Kemptener Landgericht hat das Urteil gegen einen 24-Jährigen vom bayerischen Bodensee abgemildert. Der Mann hatte ein Mädchen in Lindau krankenhausreif geprügelt und mit den Füßen gegen den Kopf getreten. Das Amtsgericht hatte eine Haftstrafe verhängt, jetzt kommt er mit Bewährung davon.
Geschehen ist die Tat ziemlich genau vor einem Jahr auf der Maximilianstraße. Zwei Mädels saßen gegen Abend auf einer Bank, als ein entfernter Bekannter des Weges kam und eine von ihnen aufforderte, mitzukommen. Sie wollte nicht, woraufhin sich die neben ihr sitzende Freundin einmischte, und ihm deutlich machte, er solle sie jetzt bitte in Ruhe lassen. Was darauf folgte, kann man kaum anders als Gewaltexzess bezeichnen. Der heute 24-Jährige zerrte das 17-jährige Mädchen an den Haaren zu Boden und begann mit den Füßen auf sie einzutreten.
Mindestens zwei Tritte trafen ihren Kopf, sie kam danach mit einem Trommelfellriss, diversen Prellungen und einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus. Das Trommelfell musste sogar im Uniklinikum Ulm operiert werden.
Aber die Gewalt ging weiter. Drei Bekannte versuchten, den 24-Jährigen von weiteren Schlägen abzuhalten, kassierten dabei ihrerseits Schläge. Als die Polizei kam, bedrohte der Prügler das geschlagene Mädchen auch noch: "Wenn Du was sagst, bring ich Dich um." Und später, als sich die Betroffenen im Krankenhaus wieder trafen, ging der Täter auch noch auf den Vater eines Freundes los, schlug ihm einige Zähne aus und brach ihm die Nase. Dafür hatte der Schläger im März vom Amtsgericht Lindau eine 25-monatige Freiheitsstrafe ohne Bewährung bekommen.
Dagegen allerdings legte der Rechtsanwalt des Angeklagten Berufung ein, und so landete die Angelegenheit in einer bemerkenswerten Verhandlung vor dem Landgericht.
Bemerkenswert erstens wegen des Urteils. Das neue Strafmaß lautet 23 Monate mit Bewährung, das heißt, der Schläger bleibt auf freiem Fuß. Bemerkenswert zweitens wegen der Urteilsbegründung, denn Kammervorsitzender Helmut Krause hatte zwar keinerlei Zweifel an dem, was passiert war, brachte jedoch eine erstaunlich lange Liste von Gründen vor, die das Strafmaß milderten: Der Täter habe eine positive Sozialprognose, da er Wohnung, eine Ausbildungsstelle und ein soziales Umfeld habe. Er bemühe sich, von seinen Alkoholproblemen wegzukommen.
Und wenn er in den Knast komme, so die ungewöhnliche Formulierung des Richters, komme er dort mit "richtigen Kriminellen" in Kontakt, die dann schlechten Einfluss auf ihn ausüben würden. Und schließlich leide er unter "Mentalitätsproblemen".
Die hatten sich - der dritte Grund, warum dieses Verfahren bemerkenswert war - zuvor vor allem darin geäußert, dass der Angeklagte ein ausgesprochen taktisches Verhältnis zur Wahrheit erkennen ließ. Zuerst wollte er sich an gar nichts erinnern, dann waren plötzlich wieder Erinnerungsfetzen da, aber nur solche, die ihn selbst nicht belasteten.
Und am Schluss bot er über seinen Anwalt Werner Jost sogar ein vollständiges Geständnis an, aber nur für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft mit einer Bewährungsstrafe einverstanden sei.
Viertens schließlich war das Verfahren bemerkenswert, weil die Sorge um den Täter größeren Raum bekam als die fürs Opfer. Während der Angeklagte tränenreich über seine Jugend in einem islamischen Land berichtete, hielt sich das inzwischen 18-jährige Opfer - wie es im Gerichtsjargon heißt - "ohne Belastungseifer" an die Fakten. Das nahm das Gericht zwar zur Kenntnis, aber der Angeklagte hinterließ mit seinen Tränen mehr Eindruck.
Was zur Folge hatte, dass eine offensichtliche Provokation des Täters gegenüber dem Opfer bei einem zufälligen Zusammentreffen in Lindau nach der Tat nicht dem Täter, sondern dem Opfer zugerechnet wurde.
Und fünftens verringerte das Landgericht das Schmerzensgeld von 10000 auf 7500 Euro, mit der wiederum bemerkenswerten Begründung, dass das Opfer ja in der Ausbildung sei, weshalb 7500 Euro für sie ja auch schon ein "ordentlicher Batzen" sei. Zumindest für Zuschauer hinterließ das einen faden Nachgeschmack.