Vorsichtig tastet sich Heinz Böhm über die Blindenschrift und liest seinem Begleiter Waldemar Ruf laut vor: 'Neustädter- oder Waisentor.' Dann gehen seine Hände auf Wanderschaft, suchen auf dem über zwei Quadratmeter großen Bronzerelief die Station Nummer 6. Böhm zeigt Fingerfertigkeit.
Er und sein Kollege sind blind und testen an diesem Nachmittag erstmals das neue Stadtrelief auf dem Residenzplatz Kempten. Alle 19 Stationen sind in Blinden- und Schreibschrift aufgeführt. Die passenden Zahlen sind auf den Gebäuden angebracht.
'Das Strukturmodell zeigt wesentliche Bereiche der historischen Stadtentwicklung', erklärt Bernhard Jäger, Präsident des Lions Club Kempten. Der Serviceclub hat das Modell finanziert. Der Künstler Egbert Broerken formte zwei Jahre an der Darstellung, die auf einer Vorlage des Jahres 1823 basiert.
Robert Weichenmeier, Bezirksgruppenleiter des Bayerischen Blindenbundes, lobt die Idee: 'Wir begrüßen die Initiative, die Historie zu zeigen.' Beim Ortstermin sind auch Stadtführer dabei. Beispielsweise Rudi Walter. Für ihn ist das Relief ideal, um die Doppelstadt Kempten zu erklären. Seine Kollegin Rodica Menzel freut sich über die Details: 'Da sind sogar die Fischteiche im Hofgarten sichtbar'.