Wie aus hölzernem Strandgut rustikale Kunst entsteht - Zwei Schatzsucherinnen unterwegs Lindau (enz). Alle Jahre wieder spült der Rhein gewaltige Mengen Treibholz in den Bodensee. Von Westwind und Strömung getrieben, stranden die Hölzer überwiegend am bayrischen Ufer - zum Verdruss der Anrainer, für die das chaotische Sammelsurium von Stämmen, Ästen und Wurzelwerk ein Ärgernis ist. Doch auch hier gilt: Was des einen Leid, ist des anderen Freud.
Die Zahl derer, die begeistert im Schwemmholz 'fischen' und als Beute manch originelles Unikat an Land ziehen, ist größer als man denkt. Zwei Schatzsucherinnen seien nachstehend vorgestellt. Die eine führt eine Modeboutique nahe Ulm und schmückt ihre Wohnung mit Souvenirs aus dem Strandgut des Schwäbischen Meers. Die ist eine professionelle Künstlerin, in deren Lindauer Galerie diverse Treibholz-Exponate eher dekorative Ergänzung zu ihren Gemälden sind. Heidi Kindermann aus Pfaffenhofen balanciert über glitschige Stämme am Ufer bei Nonnenhorn. Minuten später wirft sie ein Brettstück und ein löchriges Gehölz ans Ufer, grapscht nach einem Wurzelstrunk und ist nach geglücktem Sprung an Land auf Wolke sieben. Warum nur? Das Brett ist Teil eines maroden Fensterladens. Auch der armdicke Strunk hat schrumplige Macken. Euphorisch deutet die 45-Jährige auf den Klotz: 'Sehen Sie diesen Strudel von verknoteten Linien, die sich wie chiffrierte Botschaften verästeln.' Einen Namen für den Fund hat die fußnasse Seeräuberin schon parat: 'Veränderung'Ihre Erklärung: Die Rillen symbolisieren das Auf und Ab des Lebens, die Knorpel zeigen die Wunden und der scharfe Knick einen gravierenden Schicksalsschlag. Die Antwort auf ihre Analyse nimmt sie vorweg: 'Eine Lebensgeschichte mit Ecken und Kanten?' Bei einem Wiedersehen zwei Wochen später kramt Heidi Kindermann den Knüppel namens 'Veränderung' aus dem Kofferraum. Aufgespießt von einem Metallstift, der mit einem Steinsockel verbunden ist. Gleiches ist dem Holz mit Loch widerfahren. Sinniger Name: 'Frau mit Durchblick'. Behutsam streichelt sie ihren Schatz: 'Hat er nicht sanfte weibliche Formen?' Den 'Durchblick' braucht sie nicht zu erklären, den sieht jeder Laie. 'Dieses Motiv ist ein optischer Kitzel', schwärmt sie. Sie ist sicher: Wer über Schwemmholz klettert, entdeckt viel Symbolik - naturalistische Stillleben in oft bizarren Strukturen. 'Den ramponierten Stämmen sieht man an, woher sie kommen. Sie offenbaren mir den Sturm, die wilde Gebirgsszenerie, eine tobende See und einen bewegten Himmel.' Deshalb, so begründet sie zum Abschied, lasse sie ihre Funde unverändert. Bis auf einen Pinselanstrich mit Olivenöl. Ganz anders Angelika Cemerin aus Lindau. Für sie ist Treibholz eine herrliche Materie für kreative Gestaltungsspiele. Die freischaffende Künstlerin hat kürzlich die Kronengasse der Lindauer Insel für kurze Zeit mit einem filigranen 'Treibholzvorhang' via Seeblick geschmückt. Seit zehn Jahren lebt sie auf der Insel und reiht in ihre Exposition 'Bilder & Objekte' auch gerne das ein oder andere Kunstwerk aus Schwemmholz ein. Wer in Lindau wohnt - so sagt sie - komme zwangsläufig mit Treibholz in Berührung. Sie halte mehrmals im Jahr Ausschau nach geeigneten Exemplaren. Nicht selten falle ihre Wahl auf größere Stücke, so dass sie zum Abtransport die Hilfe einer Freundin benötige. Zum Beweis wuchtet die Lindauerin mit einem Haltestrick einen mit rostigen Nägeln gespickten Stamm nach draußen. 'Ich verzichtete auf Namen. Der Betrachter soll selbst empfinden, was er sieht.' Im Gegensatz zu Heidi Kindermann geht die Künstlerin ihren Fundstücken resolut an den Kragen. Sie werden zersägt, geglättet, geschmirgelt und manchmal auch bemalt. Ein großflächiges Brett hängt wie ein gemusterter Wandteppich an der Wand. Andere Hölzer sind zu Spiegelfassungen geworden oder dienen als Halter für Tisch- und Stehlampen.