Wie sollen Allgäuer Dörfer aussehen? Diese Frage wird oft emotional diskutiert. Ein Urlauber spricht beim Neubaugebiet im Wiggensbacher Ortsteil Ermengerst von einer 'Ästhetik eines Schuhkartons' und einer '08/15-Vorortsiedlung'. Wo bleibt die Tradition und der Schönheitssinn, fragt er.
Mit diesen Fragen hat die Redaktion der Allgäuer Zeitung die beiden Bürgermeisterkandidaten von Wiggensbach bei einem Ortstermin überrascht.
Amtsinhaber Thomas Eigstler und Herausforderin Astrid Haggenmüller ließen sich nicht beirren und waren sich überraschend einig: Eine Gemeinde soll wenige Eckpunkte vorgeben und die Bauherren dann machen lassen wie sie wollen.
Alles im Ort gefällt den beiden allerdings auch nicht: Das Baugebiet Sonnenhang, das frühere Gemeinderäte abgesegnet haben, ist ihnen denn doch zu kunterbunt - 'total daneben', sagte Eigstler, 'so nie wieder', sagte Haggenmüller.
'Hallo Thomas', begrüßt Haggenmüller ihren Kontrahenten auf dem Wiggensbacher Marktplatz. Auf ihren Wahlplakaten stellt sie sich schlicht als 'd’Astrid' vor. Die beiden sind per du. Nach einer kurzen Begrüßung geht es los, beide wissen nicht, wohin.
Als sie aus dem Auto steigen, knirscht Kies unter ihren Sohlen. Über den Hügel weht das Kreischen einer Säge. Die Kandidaten finden sich inmitten des Ermengerster Neubaugebiets an der Bergstraße wieder. Hier stehen vor allem moderne Gebäude mit Bauhauselementen und großen Fenstern. Ein Haus mit runden Säulen am Eingang und der Terrasse, so wie in der Toskana oft gebaut wird.
Über all das hat sich der Urlauber erzürnt. Was sagen die Kandidaten zu dieser Kritik, die auch sie trifft als Gemeindepolitiker, die die Häuser genehmigt haben?
'Für mich hat das keinen 08/15-Charakter', sagt Haggenmüller. 'Mir gefällt der Baustil, er ist durchaus angebracht für uns', sagt Eigstler. Im Detail lasse sich zwar immer über Geschmack streiten. 'Man muss aber an die Leute denken, die darin wohnen sollen', sagt Haggenmüller: 'Ich kenne das von meiner Arbeit als Architektin. Die Menschen haben einfach unterschiedliche Geschmäcker.'
'Als Gemeinde achten wir darauf, dass gewissen Grundparameter eingehalten werden', sagt Eigstler. Höhe, Fläche und Zahl der Geschosse etwa werden im Bebauungsplan geregelt. Wer sich innerhalb dieses Rahmens bewegt, kann sich sozusagen stilistisch austoben. 'Dinge wie die Fassadengestaltung - etwa aus Holz oder Putz - können wir aber nicht festlegen', sagt er. Das würde zu sehr ins Eigentumsrecht eingreifen.
Haggenmüller zufolge müsste so etwas per Satzung bestimmt werden. So weit möchte sie allerdings nicht gehen. 'Ich bin da bewusst liberal.' Auch Eigstler sagt: 'Man darf ruhig erkennen, ob ein Baugebiet aus den 70ern oder aus den 2010er Jahren stammt. Ob das in die ländliche Baustruktur passt, muss jeder für sich entscheiden.'
Haggenmüller jedoch glaubt: 'Diese Häuser werden in zehn Jahren zum normalen Ortsbild gehören, man wird sich an den Anblick gewöhnen.' Auch Eigstler sagt: 'Am Ende ist es nicht so schlecht, wie jetzt mancher meint.'
In dem Baugebiet an der Bergstraße sei Folgendes festgelegt worden: Keine Flachdächer, keine Dachgaupen und kein Haus ohne Vordach. 'Sonst wäre das allgäuuntypisch', sagt Eigstler. In anderer Lage - weniger exponiert als dort auf dem Hügel - könne er sich noch modernere Baustile für Wiggensbach vorstellen. Nur Flachdächer schließen beide Kandidaten für Wohngebiete aus. Früher waren alle Dächer rot eingedeckt: Haggenmüller finde schwarze Dachziegel nicht schlimm. 'So fallen die Solar-Anlagen weniger auf.'
Neu gebaut wurde auch an der Ortsdurchfahrt in Ermengerst. Dort stehen jetzt mehrere Mehrfamilienhäuser. Deren Optik sei dann tatsächlich '08/15', werten beide Kandidaten. Eigstler: 'Das ist nicht die Zukunft. Das war nur möglich, weil dort bereits höhere Häuser standen und sich die Eigentümer nicht über eine homogenere Bauweise einig wurden.' Der Bebauungsplan sei aber auch dort eingehalten worden.
Am Sonntag entscheiden die Wiggensbacher, wer künftig die Geschicke der Gemeinde lenkt. 'Endlich', sagen beide unisono. In Sachen Architektur im Dorf scheinen sie sich einig. 'Zumindest bei diesem Thema', sagt Eigstler. Ach ja: Es ist ja Wahlkampf.