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Auf das Dach der Welt und zurück

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Auf das Dach der Welt und zurück

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    Lhasa/Peking Ein Jahr lang ist der Weilerer Stephan Karg aus beruflichen Gründen in China. In unregelmäßigen Abständen berichtet er über seine Erfahrungen in der Heimatzeitung . Diesmal über eine Reise mit der transsibirischen Eisenbahnin das Nachbarland Tibet.

    'Shangi-La', 'Dach der Welt', 'Sitz der Götter' - versuchte Beschreibungen für einen Ort, der unbeschreiblich ist: Tibet. Trotz einer Fläche zweimal so groß wie Frankreich ist es einer der unzugänglichsten Gebiete der Erde. Mit der Ende 2006 eingeweihten neuen trans-chinesischen Eisenbahn bietet sich eine einmalige Chance, Tibet zu ergründen.

    Der Eröffnungszug aus Peking stellte am 1. Juli 2006 das offizielle Ende des größten Eisenbahnbauprojekts des 21. Jahrhunderts dar. Die 'Lhasa-Bahn' ist mit einem Scheitelpunkt von 5072 Metern die höchstgelegene Bahnstrecke der Erde und hat auf 5068 Metern mit Tanggula auch den höchsten Bahnhof. Die Personenwagen haben Doppelverglasung und die Scheiben sind gegen die hohe ultraviolette Strahlung geschützt.

    Die Wagen sind mit Anlagen ausgerüstet, die Sauerstoff liefern und für Druckausgleich sorgen. Wie im Flugzeug stehen Sauerstoffmasken zur Verfügung. Ein Großteil der Strecke verläuft auf Permafrostboden, der auch im Sommer nicht auftaut, durch das chinesische Hochland.

    Die Reise von Peking nach Lhasa führt einmal quer durch China. 48 Stunden, die die Vielfalt Chinas zeigen: Von grünen Reisfeldern über versmogte Industriestädte, durch Steppenlandschaften, an Salzseen vorbei, durch Wüsten bis hin zur Tibetanischen Hochebene, umgeben von den Berggiganten des angrenzenden Himalaya.

    Mit Verlassen des Bahnhofes offenbart sich eine neue Welt für mich. Obwohl mit der chinesischen Kultur mittlerweile gut vertraut, merke ich schnell, dass Tibet ganz anders ist. Zum dritten Mal in diesem Jahr feiere ich Neujahr. Während in Europa das neue Jahr am 1. Januar eingeläutet wurde, lag das chinesische Neujahr am 17. Februar, das tibetische Neujahr beginnt nochmals ein paar Tage später.

    Ausländische Menschen sind für die tibetanische Bevölkerung immer noch ein fremder Anblick. In einem Land, das seit Menschengedenken an einem der unberührtesten Orte der Welt liegt, erwecke ich mit meinem europäischen Aussehen Aufsehen. Andauernd werde ich mit 'taschi deleg', Hallo, angesprochen. Greise und Mönche betrachten neugierig meine Digitalkamera, Kinder springen aufgeregt umher, nachdem ich ein Foto von Ihnen gemacht habe und es Ihnen zeige. Freundliches Lachen und Offenheit ist allgegenwärtig. Ehe man sich versieht ist, man dank der unglaublichen Gastfreundschaft plötzlich Teil einer tibetischen Hochzeitsgesellschaft oder wird eingeladen und sitzt Minuten später in einer einfachen Unterkunft und trinkt mit der einheimischen Bevölkerung den traditionellen Yak-Butter-Tee.

    Bereits bei meiner Ankunft bekomme ich ein weißes Seidentuch um den Hals gelegt, was mir Glück bringen soll. Auf jedem der Dächer der Häuser sind farbige Gebetsfahnen angebracht. Die gläubigen Buddhisten gehen davon aus, dass die aufgedruckten Mantras (Gebetsformeln) durch den Wind aktiviert werden und so ihre positive Wirkung entfalten. Aufgemalte Skorpione an Hauswänden sollen die Bewohner vor Unheil schützen.

    An einem der Tage wage ich einen Aufstieg auf einen der 5000 Meter hohen Berge. Die Luft ist dünn, der Aufstieg anstrengend. Doch der Blick vom Gipfel lässt die Mühe schnell vergessen. Das kristallblaue Wasser des heiligen Yamdrok Sees liegt mir zu Füßen. Am Horizont kann ich die strahlend weißen Berge des Himalaya ausmachen, die mit ihren 7000 und 8000 Metern hoch in den Himmel ragen.

    Absolute Stille

    Atemlos stehe ich da und verspüre ein ungewohntes Erlebnis: absolute Stille. Kein Motorenlärm, keine Menschen, nichts. Ich befinde mich auf dem 'Dach der Welt', und alles, was in diesem Moment noch stören könnte, liegt weit unter mir zurück.

    Und wenn man nachts aus dem Fenster schaut und das Funkeln tausender Sterne am klaren Firmament und die im Mondlicht leuchtenden Bergspitzen sieht, so erahnt man, wie Lhasa zu seinem tibetischen Namen kam: 'Götterort'.

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