Der Fall hat das Zeug für internationale Verwicklungen: Samstagnacht ist ein Arzt in Scheidegg vor seinem Haus niedergeschlagen, entführt und am Tag darauf gefesselt vor einem Justizgebäude im Elsaß abgelegt worden. Als Drahtzieher im Verdacht: Ein 72-jähriger Franzose, der dem Mediziner vorwirft, seine Tochter vor 27 Jahren getötet zu haben. Einen der mutmaßlichen Täter hat die Polizei gefasst.
Der Fall der 15-jährigen Kalinka hatte immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Die Jugendliche aus Toulouse war im Sommer 1982 zu Besuch bei ihrem Stiefvater in Lindau und lag am 10. Juli tot in ihrem Bett. Ihr Körper wies zahlreiche Einstichstellen auf. In Verdacht, Kalinka getötet zu haben, geriet ihr Stiefvater. Während die deutschen Ermittlungsbehörden das Verfahren nach dreieinhalb Jahren "mangels genügenden Tatverdachts" einstellten, wurde der Mediziner 1995 in Paris in Abwesenheit zu einer 15-jährigen Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Die französische Justiz erwirkte zudem 2004 einen europäischen Haftbefehl. Die beantragte Auslieferung lehnten die deutschen Behörden mit Verweis auf das eingestellte Verfahren hierzulande aber ab.
Der leibliche Vater von Kalinka hatte bis zuletzt versucht, den seiner Meinung nach schuldigen Arzt zur Rechenschaft zu ziehen. Unter dem Namen "Justice pour Kalinka" (Gerechtigkeit für Kalinka) sammelten sich zudem Unterstützer im Internet. Wiederholt tauchten in dem Scheidegger Wohngebiet auch falsche "Steckbriefe" auf, in denen angeblich Interpol nach dem Arzt suchte. Die Polizei hatte deshalb Anzeige wegen Verleumdung erstattet. Mehrfach stellte offenbar Kalinkas Vater den Mediziner auch im Westallgäu zur Rede. Anwohner berichten von wiederholten heftigen Wortwechseln in französischer Sprache auf dem Grundstück des Mediziners.
Mindestens drei Männer sollen den 74-Jährigen am Samstag vor seinem Haus niedergeschlagen und entführt haben. Ein Zeuge alarmierte gegen Mitternacht die Polizei. Direkt vor dem Anwesen fanden sich massive Blutspuren. Die Polizei leitete sofort eine Fahndung ein. Wohin der Mann verschleppt worden war, wurde schnell klar. Am Sonntag wurde der 74-Jährige vor dem Justizgebäude von Mülhausen im Elsaß gefesselt auf der Straße gefunden. Weil der Verschleppte nicht unerhebliche Kopfverletzungen hatte, wurde er in ein Krankenhaus eingeliefert. Mittlerweile befindet er sich im Haftkrankenhaus Straßburg.
Einen der mutmaßlichen Täter hat die Polizei gefasst, dank "vertrauensvoller Zusammenarbeit" mit den österreichischen Behörden, wie die Staatsanwaltschaft mitteilt. Der 38-Jährige, der aus dem Kosovo stammt und in Vorarlberg lebt, habe seine Beteiligung an der Tat gestanden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen weitere noch unbekannte Mittäter.
Während der Mediziner in Zusammenhang mit Kalinka nicht belangt wurde, hat ihn das Landgericht Kempten wegen sexuellen Mißbrauchs einer 16-jährigen Patientin 1997 zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. " siehe Bayern