'Tag der Justiz' am morgigen Freitag in Lindau - Verhandlungen werden mit Laien nachgespielt Lindau/Westallgäu (enz). Wer morgen, Freitag, am 'Tag der Justiz', bei drei nachgestellten Strafverhandlungen eine 'spielerische' Rolle als Angeklagter, Verteidiger, Staatsanwalt, Zeuge oder unbeteiligter Zuhörer übernehmen möchte, sollte sich um 9 Uhr, 11 Uhr oder 14 Uhr im Sitzungssaal 1 des Amtsgerichts Lindau einfinden. Die Rolle des Richters ist mit Amtsgerichtsdirektor Paul Kind besetzt. Das Amtsgericht will den Bürgern in den Räumen am Stiftsplatz einen Einblick in die Arbeit der Rechtsbehörde gewähren..
Amtsgerichtsdirektor Paul Kind und Geschäftsleiter Willi Böcker erläuterten der Heimatzeitung vorab den Aufbau des Amtsgerichts, das auf der ersten Stufe der ordentlichen Gerichtsbarkeit eine Fülle von Aufgaben zu bewältigen hat. Das Lindauer Amtsgericht besteht seit 1870. Derzeit sind 44 Personen beschäftigt: Sechs Richter im höheren Dienst, neun Rechtspfleger im gehobenen Dienst, neun Beamte im mittleren Dienst und zwölf Angestellte plus fünf Gerichtsvollzieher sowie drei Wachtmeister. Es waren mal deutlich mehr, doch haben technische Rationalisierung und der vom Sparzwang diktierte Trend zum Personalabbau die Justizbehörden 'schlanker' werden lassen. Was die Räumlichkeiten angeht, so komme man - sagt Direktor Kind - zwar damit zurecht, doch lasse sich ein gewisser Verzicht nicht übersehen. Eine optimale Raumausstattung wäre nur über einen Neubau umzusetzen, was finanziell nicht machbar ist. Zudem wäre es schade, den zentralen Standort auf der Insel aufzugeben. Neben Straf-, Zivil- und Familiengericht gibt es im Amtsgericht noch die Abteilungen für Nachlass-, Grundbuch-, Vereinsregister- und Betreuungssachen. Die Zahl von sechs Richtern relativiert sich bei der Aufzählung richterlicher Funktionen wie Strafrichter, Zivilrichter, Jugendrichter, Ermittlungsrichter, Familienrichter, Vollstreckungsrichter, Nachlassrichter und Schifffahrtsrichter. Nicht zu vergessen sind die beiden Schöffengerichte für Erwachsene und Jugendliche, wo dem Berufsrichter zwei in der Urteilsfindung gleichberechtigte Laienrichter zur Seite stehen. Mit Ausnahme von Kapitaldelikten (z. B. Mord, Totschlag) ist das Amtsgericht nahezu für die gesamte Bandbreite von Straftaten zuständig. An das Landgericht überwiesen werden nur Fälle, bei denen eine Haftstrafe von mehr als vier Jahren zu erwarten ist. So standen vor dem Lindauer Strafgericht im vergangenen Jahr 1201 Fälle an, darunter 547 mündliche Urteile des Einzelrichters, 637 Strafbefehle und 17 Urteile des Schöffengerichts. Hinzu kamen 343 Urteile des Jugendrichters plus 48 Urteile des Jugendschöffengerichts. Nicht weniger üppig ist der Arbeitskatalog der Rechtspfleger, denen inzwischen Aufgaben übertragen sind, die ehedem Richter vorbehalten waren. Ein großer Teil der so genannten 'Freiwilligen Gerichtsbarkeit', zu dem insbesondere Grundbuch-, Betreuungs- und Nachlass-Angelegenheiten zählen, ist den Rechtspflegern anvertraut. Als Beispiel nur eine Zahl: Derzeit sind am Amtsgericht 1200 Betreuungsfälle anhängig. Fälle, in denen wegen geistiger und körperlicher Gebrechen wichtige Entscheidungen für den Betreuten (u. a. Gesundheitsfürsorge, Vermögensangelegenheiten, Aufenthaltsbestimmung) zu treffen sind. Was die Nachlässe Verstorbener angeht, so musste das Amtsgericht im Vorjahr 841 mal tätig werden. Beim 'Tag der offenen Tür' am Freitag kann man sich über Ausbildungsplätze in der Justiz informieren. Beispielsweise über das Berufsbild des Rechtspflegers, der neben oben erwähnten Aufgaben noch mit der Zwangsversteigerung von Grundstücken, Pfändungen, dem Erlass von Mahn- und Vollstreckungsbescheiden und Insolvenzverfahren befasst ist.