Wenn der Spinnfaden fließt, fließen auch ihre Gedanken: Als Entspannung und eine Art Meditation empfindet die 42-jährige Sabine Bröhl ein in Deutschland rares Kunsthandwerk, dem sie täglich nachgeht: Sie spinnt Wolle. Und sie verarbeitet sie zu Pullover, Schals und Socken, indem sie zwei bis drei Stunden strickt.
Spinnrad, das klingt nach alten Märchen und Abbildungen aus dem Mittelalter. Der Vorstellung von einer altmodischen Frau und einem braven Hausmütterchen entsprechen aber weder Sabine Bröhl noch ihre 21-jährige Tochter Brigitte, die mit der Mutter das Hobby teilt. Wobei der Begriff Hobby zur Ernsthaftigkeit ihres Tuns nicht passt: "Es ist Manie, Passion, unser Leben", sagt Sabine Bröhl, die Rock- und Metalmusik liebt. Auch Studentin Brigitte ärgert sich, wenn ihre Freizeitbeschäftigung nur deshalb auf Befremden stößt, weil ihr nicht viele nachgehen. Aber "wir sind halt nicht wie die anderen Leut, wir spinnen - aber sehr produktiv", hält Sabine Bröhl grinsenden Spöttern humorvoll entgegen.
Auf Spinnrad gekommen ist die Hausfrau und Mutter durch das Stricken. Bei einer Ausstellung in Hamburg vor zwölf Jahren lernte sie die Pflanzenfärberin Dorothea Fischer kennen und beschäftigte sich dann intensiv selbst mit der Kunst, Wolle mit Naturfarben zu behandeln. Bald zog das erste Spinnrad ins Haus - heute hat die 42-Jährige sechs, die nur im englischsprachigen Raum hergestellt werden. Eine billige Anschaffung ist ein Spinnrad nicht: Zwischen 300 und 600 Euro muss man für die formschönen Holzgestelle berappen.
Mit der Zeit legte sich Sabine Bröhl ein enormes Fachwissen über Wolle auf ihrem Weg von der Schafschur bis zum Pullover zu.
Nachhaltig und umweltverträglich ist es in ihren Augen, etwa die Wolle Allgäuer Bergschafe, nachdem sie vom Kardierer gekämmt wurde, mit Naturfarben zu behandeln und dann zu verstricken. Dem Vorurteil, dass solche Wollprodukte kratzen, begegnet sie mit Informationen: "Das kommt alles auf die Wolle an, vom Merinoschaf zum Beispiel ist sie ganz weich." Es gibt Wolle von Alpakas, Katzen und Kaninchen - fürs Hautklima viel gesünder als chemisch aufbereitete Wolle, schwört Sabine Bröhl. Sie dagegen färbt mit Naturprodukten, zum Beispiel Birkenblättern, Rhabarberwurzeln, Walnüssen oder Schilf.
Das "urweibliche" Handwerk, das seit der Steinzeit für die Bekleidung von Menschen sorgt, interessiert heute auch Männer, weiß Sabine Bröhl von mittelalterlichen Märkten, bei denen sie ihre Kunst zeigt. Künstlerisch und kreativ sei das Spinnen, weswegen sie ihr Wissen gern auch in Kursen weitergibt.
Interessierte können sich an Sabine Bröhl, Kempten, Telefon (0831) 5121986, wenden.