Durach (ves). Jetzt ist er also 60 Jahre alt geworden und 'Halbrentner': Ernst Wagner, besser bekannt als Wirt der Kemptner Hütte. Bis zu 20000 Besucher im Jahr hat er zusammen mit seiner Frau Elvi auf dem zweitgrößten Schutzhaus des Deutschen Alpenvereins (DAV), gelegen am europäischen Weitwanderweg E5 nahe Oberstdorf, beherbergt oder verköstigt. 28 Jahre lang. Kein Wunder also, dass der Wagner Ernst unter Bergsteigern und Wanderern bekannt ist, wie wenige andere: 'Wenn wir in Kempten durch die Stadt laufen, sage ich immer, kann er gleich an einer Stelle stehen bleiben, weil er so viele Leute trifft', schildert Ehefrau Elvi (58). Sie dagegen bleibt meist unerkannt, obwohl sie ebenso lang auf der Hütte war - aber hinten in der Küche. Ehemann Ernst dagegen war für die Gäste Ansprechpartner für alle Fragen und Probleme: Er hat schon Fieberthermometer verliehen und Hämorrhoidensalbe ausgegeben, Rucksäcke geflickt, Schuhe geklebt und natürlich oftmals den richtigen Weg beschrieben oder eine Tour empfohlen. Bis zu 14000 Übernachtungen im Jahr, manchmal 400 pro Nacht hat die Kemptner Hütte zu verzeichnen. Viel habe sich verändert, vor 30 Jahren hätten die Bergsteiger und Wanderer noch nicht so hohe Ansprüche gehabt. 'Früher hat der Gast gefragt: Hüttenwirt, hast einen Platz für mich? Heute die erste Frage: Wo ist die Dusche?', sagt Ernst Wagner. Dabei könne man doch nicht das Dieselaggregat stundenlang laufen lassen, nur damit ein paar Gäste duschen können. Auf seiner Speisenkarte hat Wagner deshalb seine Gäste in Gedichtform zur Wertschätzung des Einfachen gemahnt. Für das Ehepaar, die Kinder Petra, Gabi und Tobias und die Angestellten bedeuteten die vielen Gäste freilich viel Arbeit: 16 Stunden am Tag, die ganze Saison ohne Ruhetag für die Wirtsleute. 'Da sind vier Monate eine lange Zeit', sagen sie lächelnd.
Und der Hüttenwirt verrät: 'Deshalb bin ich im Frühjahr immer gern rauf gegangen, aber im Herbst auch immer gern wieder runter.' Doch war das manchmal gar nicht so einfach. Im September 1974 wurden die Wagners mitsamt der ganzen Belegschaft eingeschneit, eine Woche lang mussten sie oben durchhalten. 'Ich habe versucht, wenigstens das Roß runterzubringen', erinnert sich Ernst Wagner. Aber da wurde er von einer Lawine erfasst und landete im Sperrbachtobel. Auf diesen Schreck hin warteten sie lieber, bis es möglich war, mit einem Hubschrauber ausgeflogen zu werden. So kam auch das Pferd hinab. Viele lustige Geschichten erzählen die Wagners von ihrer Zeit als Hüttenwirte. Doch sie haben auch Tragisches erlebt: Vor zehn Jahren ist ihr Sohn Tobias aus der Materialseilbahn in den Tod gestürzt. Das war an einem der vielen Tage, die er oben auf der Hütte beim Helfen verbracht hatte. Denn ohne die Kinder wäre die Arbeit an den Wochenenden nicht zu bewältigen gewesen, sagt Elvi Wagner. Ein Glück also, dass diese ebenso begeistert vom Hüttenleben waren wie die Eltern. Übernommen hat die Hütte vor zwei Saisonen letztendlich Tochter Gabi mit Ehemann. Die Eltern sind froh, dass 'eigene' Leute die Hütte weiter führen - und arbeiten natürlich weiterhin mit. Doch können die Wagners während Woche auch mal hinunter ins Tal, im kleinen Haus in Durach ausruhen. Einen richtigen Sommer im Tal kennt Wagner eigentlich gar nicht und so warten dort neue Erlebnisse auf den Rentner: 'Ich habe jetzt zum ersten Mal Rasen gemäht', sagt Ernst Wagner lachend.