Skandal? Sünde? Nein, Sauna - Jetzt macht der erste Schwitz-Tempel nach über 30 Jahren zu Pfronten (vol). Ob am 22. Mai im Jahre 1964 die Sonne schien, weiß keiner mehr genau. Geregnet soll es auch nicht haben. Doch ein Mittwoch war es jedenfalls, da kam die Nacktheit nach Pfronten. Genauer: die öffentliche Nacktheit. Menschen entblößten ihre Körper, legten und setzten sich barnackend auf engstem Raum nebeneinander, nur zu dem einen Zwecke, um bei Temperaturen heißer als in jeder Allgäuer Stube zu schwitzen. All dies ereignete sich dereinst in Pfronten-Berg, beinahe im Schatten der St. Nikolaus-Kirche. Skandal? Sünde?
Sauna! Ein Wort, das nicht jedem Pfrontenern geläufig war. Ab jenem Mittwoch im Mai war es aber in aller Munde. Sepp Schneider hatte die erste öffentliche Sauna im Pfrontener Tal eröffnet, die Alpensauna. "Was das ist, wussten damals nur wenige. Und die kannten Saunen meist nur, weil sie im Krieg in Russland oder Skandinavien gewesen waren", erinnert sich Schneider heute in der Stube seines Hauses in der Allgäuer Straße. Neben ihm seine Frau Bärbel, hinter ihm freier Blick auf Pfronten - und ein Stockwerk unter ihm Pfrontens erster Schwitzkasten mit Publikumsverkehr. Der damalige Dorfskandal?"Ganz so schlimm war es nicht", blickt Sepp Schneider zurück. Keine Drohbriefe, keine Freunde, die nicht mehr grüßten, aber ein bisschen NachredÔ durchaus: "Was? da goscht nei? Nackert? A Saustall!" - das Raunen der Nicht-Saunisten am Fuße des Breitenbergs erstaunt Sepp Schneider heute wenig: "Die LeutÔ haben doch früher nicht mal den eigenen Vater nackt gesehen." Und in der Sauna gabÔs gleich den Nachbarn ohne StrümpfÔ. Der Schock lähmte freilich nicht allzu lange. Bald konnte Schneider 100 Stammgäste zählen, Urlauber wie Pfrontener. Allesamt keine Sünder. "Ich habÔ sogar den Krankenhauspfarrer gefragt, was er davon hält", erinnert sich Schneider. Die Antwort: "Daran ist nichts Schlimmes. Der Mensch zeigt sich, wie er gewachsen ist."Diese Ansicht setzte sich bald in Pfronten durch, und nachdem auch die letzten roten Köpfe trotz Einführung der gemischten Saunagänge wieder beruhigte Gesichtsfarbe hatten, war klar: Die Alpensauna war eine Institution. Der jährliche Saunaball war der Hit im Dorf, Ski-Nationalmannschaften aus Frankreich und den USA schwitzten bei den Schneiders. Und sogar eine Filmszene wurde gedreht. Eine Nacktszene natürlich - "aber das war harmlos. Kein ÔLederhosenfilmÔ!", betont Bärbel Schneider. Selbst als einst der Kaplan Ritschel krank wurde, begab dieser sich auf Anraten Schneiders gen Pfronten-Berg - dorthin, wo sonst die Nackerten waren. Allein in der Sauna schwitzte er, wurde gesund und hatte noch so manche geheime Einzelsitzung. Die Alpensauna, die Schneider mit Unterstützung seiner Fußballkameraden spontan aufgebaut hatte, war da bereits mehr als nur ein zweites Standbein für ihn. Vor allem die urige Atmosphäre lockte die Schwitzer an. Im Winter gab es eine Weihnachtsfeier mit Adventskranz, "Stille Nacht" und übergezogenen Bademäntel. Und der Weißlacker zur Brotzeit galt als der beste in Pfronten, wie Bärbel Schneider betont.100 Stammgäste können die Schneiders noch heute zählen. Doch nicht mehr lange. Am 13. Mai dieses Jahres wird der letzte Nackte ins Tauchbecken mit den altmodisch bunten Kacheln steigen. Dann schließt die Alpensauna. "Wir machen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr weiter", erklärt Bärbel Schneider. Und die Söhne werden die Sauna nicht übernehmen. Die Konkurrenz ist ihnen zu groß: Erlebnisbäder, Fitnessstudios, Hotels - die Saunen schießen wie die Pilze aus dem Boden. Denn skandalös sind die Nackten auch in Pfronten schon lange nicht mehr.