Man kennt das für gewöhnlich vom Urlaub. Ist man für längere Zeit in fremdem Land unterwegs, führt man gerne einen Block bei sich und füllt ihn am Abend mit Texten über die letzten ereignisreichen Stunden. Urlaubstagebuch nennt sich das, und wenn man Monate später darin blättert, kann es zur spannenden Lektüre werden.
Alissa Walser ist auch täglich am Notieren – allerdings über die Urlaubszeit hinaus. Selbst im Alltag vergrößert die Schriftstellerin ihren Zettelkasten, wie sie diese Art des Tagebuches selbst nennt, und was Eingang darin findet sind kleine und größere Geistesblitze, Auffälligkeiten, Wörter, Sätze, oder irgendwo herausgerissene Bilder.
'Überbelichtetes und Unterbelichtetes', formuliert es Alissa Walser und sie sagt auch, dass dieser Zettelkasten so wichtig für sie sei wie ihr Computer. Eine Schatztruhe sozusagen.
Na ja, und aus dieser Schatztruhe kramte die 51-Jährige irgendwann einen Zettel hervor, auf dem das Wort 'Mesmer' stand sowie der Zusatz: 'Der Magier und das Mädchen'. Zur Erklärung: Franz Anton Mesmer lebte in der Zeit von 1734 bis 1815 als Arzt in Wien und sollte einst das musikalische Wunderkind Maria Theresia heilen, eine blinde Pianistin und Sängerin. Alissa Walser hatte irgendwann während des Studiums in Wien von dieser Geschichte gelesen und sich eine Notiz gemacht. Jahre später entdeckte sie den Zettel in ihrem Kasten – und wusste: Aus diesem Stoff könnte man einen Roman schreiben. Sie weiß heute nicht mehr genau, wie lang sie daran gearbeitet hat.
Aber er ist fertig geworden und trägt den Titel 'Am Anfang war die Nacht Musik'.
Unter anderem aus diesem Werk, in dem es um Menschlichkeit geht, um Liebe und Hass, liest Alissa Walser am 14. September (20 Uhr) im Tempelbezirk in Kempten, im Rahmen des dortigen kulturellen APC-Sommers, und weil sich die Geschichte, die sie erzählt, rund um das Thema Musik dreht, liegt es quasi auf der Hand, dass die Schriftstellerin an diesem Abend nicht alleine auf der Kemptener Bühne sitzen wird. Platz nimmt dort ebenfalls Florian Mayer, ein Saxofonist und Klarinettist, der den Walserschen Figuren musikalisch ein Gesicht geben will – als Vorspiel oder als Nachklang.
Wenn Alissa Walser ins Allgäu kommt, werden sie womöglich Heimatgefühle befallen. Denn nicht allzu weit entfernt von Kempten ist sie zur Welt gekommen. In Friedrichshafen am Bodensee, als Tochter des Schriftstellers Martin Walser. Natürlich ist sie ungezählte Male mit diesen Fragen konfrontiert worden: 'Waren viele Dinge für Sie leichter zu erreichen als Tochter eines berühmten Autoren? Oder haben Sie das eher als Belastung empfunden?'
Alissa Walser will sich solchen Fragen nicht verschließen. Aber was soll sie antworten? Schließlich sage ihr ja keiner ins Gesicht, dies oder das nur deshalb bekommen zu haben, weil sie den Nachnamen Walser trägt, glaubt die 51-Jährige. Und: Ist man erst mal mittendrin in der Welt der Schriftstellerei, vermutet sie, zähle einzig und allein das Endergebnis.
Zum Beispiel, dass ihr Roman 'Am Anfang war die Nacht Musik' (Piper Verlag) in der vierten Auflage ist. Dass die 'Die Zeit' von einem 'raffiniert komponierten Debütroman' sprach, 'Die Welt' von einem einfühlsamen, historischen Werk, und die Zeitschrift 'Freundin' schließlich schwärmte: 'Poetisch und gleichzeitig bestechend klarsichtig.'
Na ja, und dann ist da noch das Urteil eines nicht ganz unwichtigen Menschen in Alissa Walsers Leben, das des Vaters. Wie ihm denn der Roman gefallen habe? 'Sehr', sagt die Tochter. 'Das hat mich gefreut.'
Alissa Walser liest am Freitag, 14. September (20 Uhr), im Rahmen des kulturellen APC-Sommers im Kemptener Tempelbezirk (bei Regen moder kühlem Wetter in den Kleinen Thermen). Motto des Abends, an dem Florian Mayer Saxofon und Klarinette spielt: 'Geschichten vom Leben – von zart bis hart'. Karten im Vorverkauf gibt es unter Telefon 0831/ 206222, 0831/29276 oder 0831/2525-200.