Von Roland Wiedemann |KemptenDie Lage sah hoffnungslos aus, als Cemal Coskun in seinem Büro der alte Koffer in die Hand gedrückt wurde. Vereinsstempel, Spielerpässe und andere wichtige Dokumente des FC Türk Sport Kempten befanden sich darin - die Überbleibsel eines Fußball-Klubs, der vor der Auflösung stand. Kaum noch Spieler und erst recht keine Funktionäre; das war vor acht Jahren. Am Wochenende feiert der älteste türkische Verein in Bayern mit permanentem Spielbetrieb sein 35-jähriges Bestehen.
Cemal Coskun sollte es wieder richten - der Sozialarbeiter, an dessen Bürotür im Frühjahr 1973 türkische Gastarbeiter der ersten Generation geklopft hatten. "Wir verstehen was von Fußball. Du weißt, wie ein Verein organisiert wird." Mit diesen Worten waren die Männer vor ihn getreten. Der erste Vorsitzende in der Geschichte von Türk Sport konnte nicht Nein sagen und fing an, den Verein auf Vordermann zu bringen.
Abwechslung im tristen Alltag
35 Jahre Türk Sport Kempten - es ist eine wechselhafte Geschichte mit Höhen und Tiefen.
Es ist auch die Geschichte von Menschen, für die es Anfang der 70er Jahre in einer für sie völlig fremden Welt zwar Arbeit, aber keine soziale Anerkennung gab, die in Baracken wohnten, Schicht arbeiteten und das Heimweh mit der Illusion betäubten, schnell viel Geld zu verdienen und bald in die Türkei zurückzukehren. Fußball war die einzige Abwechslung im tristen Alltag.
Özkan Gönültas ist der stellvertretende Vorsitzende des Vereins, 33 Jahre alt und in Kempten fest verwurzelt. Er hat die Worte seines Vaters noch in den Ohren. Jedes Mal vor den Sommerferien sagte der zum Sohn, er solle sich von seinen Schulkameraden verabschieden, weil es nun für immer in die Türkei zurückginge. "Meine Eltern leben heute noch in Deutschland", sagt Gönültas und lächelt dabei.
Als sich Coskun 1973 mit dem Wunsch seiner Landsleute nach dem eigenen Verein an Helmut Weihele wandte, fand er inm Spielgruppenleiter einen Ratgeber. Das galt auch für Benno Glas von der Stadt, der bei der Suche nach einem Fußballplatz für den neuen Klub half.
Eine Wiese mit zwei Toren
Die erste Stätte war nicht mehr als eine Wiese mit zwei Toren. Aber die Türk Sport-Pioniere, die zu Hause auf staubigen Sandplätzen gespielt hatten, waren zufrieden mit dem Acker im Stadtteil Stiftallmey. "Es war eine harte, aber schöne Zeit", findet Coskun. Der 63-Jährige erzählt von der Aufbruchstimmung und von der 1:18-Pleite im ersten Punktspiel. Dann geht Coskun die Reihen ehemaliger Spieler durch. Türken, Italiener, Tschechen, Jugoslawen und Deutsche trugen das Trikot.
Coskun, seit Jahren Vorsitzender des Ausländerbeirates, redet von Integration mit außergewöhnlichen Menschen als Bindeglieder.
Einer war Stavros Portsidis, eine Kultfigur bei Türk Sport trotz der griechischen Wurzeln. "Man muss sich das mal vorstellen", sagt Coskun. "Ein Grieche steht im Tor einer türkischen Mannschaft, während sich ein paar 1000 Kilometer weiter südlich Soldaten der zwei Länder gegenüberstanden."
Coskun weiß, dass nicht immer alles eitel Sonnenschein war. In der Anfangsphase gerieten Türk Sport-Spiele oft zu emotionsgeladenen Auseinandersetzungen. "Jede Partie war ein Länderspiel Deutschland gegen die Türkei", sagt Coskun. Vor allem die Zuschauer, die in den 70er Jahren zu Hunderten am Spielfeldrand standen, hatten ihre Gefühle oft nicht unter Kontrolle.
Es kam zu Ausschreitungen. "Heute ist das kein Thema mehr", sagt Gönültas.
Auch wenn vieles unaufgeregter geworden ist, gibt es Momente, in denen Ressentiments noch spürbar sind. "Wenn einer von uns gröber einsteigt", so Gönültas, "heißt es gleich: Jetzt fangt ihr schon wieder an. Bei den Deutschen sagt man, Fußball ist ein Kampfspiel."
Der Vorsitzende Adnan Madras und seine Vereinskollegen fühlen sich nicht diskriminiert, nur ab und zu benachteiligt, vor allem wenn es um das Türk Sport-Gelände an der Nordbrücke geht. Zwei Container dienen als Umkleide- und Duschräume. Drei Brausen müssen zwei Mannschaften reichen; und von Ende November bis Anfang März wird das Wasser wegen möglicher Frostschäden gleich ganz abgestellt.