Von Tobias Schumacher, Osterzell - Gerhard Fischer ist ein Beispiel dafür, dass jedem Ende auch ein Neubeginn innewohnen kann. Wenn denn Zufälle oder das Schicksal glücklich zusammenspielen. Rund 24 Jahre ist es her, dass der Osterzeller nach einem Motorradunfall seinen Beruf als Werkzeugmacher an den Nagel hängen musste. Ein Schicksalsschlag. Dem wenig später der Zufall folgte, dass er mit Freunden nach einem Geburtstagsgeschenk Ausschau hielt und man auf die Idee einer geschnitzten Holzfigur verfiel. Ein Bekannter sollte sie fertigen. Als dessen Angebot zu teuer ausfiel, habe der nur gemeint: 'Dann musst Du\'s halt selbst machen', erinnert sich Fischer an den Beginn seiner neuen Profession: Er ist Holzschnitzer. Davon lebt der 46-Jährige nach knapp einem Vierteljahrhundert immer noch 'mehr schlecht als recht, es ist ein Zuverdienst, zum Leben fehlt die Auftragsmasse'. Unlängst trat er eine Sechs-Stunden-Stelle bei der Gemeinde an. Doch wer vor dem Haus in Osterzell am Schulplatz 1 steht oder es betritt, der atmet Holzduft und stößt auf Schnitzwerk in allen Winkeln. Das Gebäude diente bis Anfang der 70er-Jahre als Schulhaus für die fünften bis achten Klassen. 'Als Schüler bin ich früher hier drin gesessen', erzählt Fischer über seine Werkstatt, sein ehemaliges Klassenzimmer. Heute kringeln sich Hobelspäne am Boden, Bleistiftskizzen zieren die Wände, auf einer Fensterbank verstaubt ein Plastilin-Modell, Zirbelkiefer- und Lindenholzstücke duften, Holzstaubflecken hellen die von der Ofenheizung gerußten Wände und die Decke auf. 'Ich müsste mal wieder renovieren', sagt Fischer und lacht. Zum Malern hat er keine Zeit.
Verkappter Linkshänder Er schnitzt, konzentriert, die Hände arbeiten über Kreuz: 'Ich bin ein verkappter Linkshänder'. Die rechte Hand, mit der er ein Arbeitsstück fixiert, habe unter dem Motorradunfall gelitten. 'Jeder hat seine Eigenart', sagt Gerhard Fischer über seinen Schnitzstil. 'Ich bin mehr fürs Feine, gehe ins Detail, hab\'s schon lieber genau.' Dazu sei inzwischen die Angst weg, 'wenn ich mal ein bissl zu tief reingekommen bin. Früher habe ich gedacht, das ist ein Weltuntergang'. Während Kollegen oft Gesichter oder Finger nur andeuteten, entstehen bei ihm selbst Fingernägel. 'Ab und zu versuche ich\'s auch gröber, weil Zeit ist schließlich Geld. Aber dann schnitze ich doch wieder feiner rein', berichtet er über vergebliche Rationalisierungsversuche. Die betreffen auch das unbearbeitete Holz. In Oberammergau, der Hochburg bayerischer Schnitzkunst, steht bei industriell vorgefertigten Rohlingen meist schon fest, dass sie eine Marienfigur werden sollen. Oder sonst etwas. Das ist preisgünstiger, weshalb auch 'welche aus dem Ort nach Oberammergau fahren', berichtet der Osterzeller. Aber Rohlinge sind nicht Fischers Sache. Die Objekte entwirft er entweder auf Zeichenpapier ('Das ist gefährlicher wegen der Proportionen') oder als Plastilinmodell: 'Das kann man so lange kneten, bis es passt.' Beim unbearbeiteten 'Holzklotz in passender Größe' schneidet er 'mit der Bandsäge ein bissl was weg', mit Hammer und Schnitzeisen wird beispielsweise 'der grobe Faltenwurf eines Kleides, eine Hand, die Kopfstellung' herausgearbeitet, Gesichtszüge werden hin und wieder vormodelliert und schließlich die Maße mit dem Stechzirkel übertragen, erläutert der Autodidakt die Schritte bis zur Feinarbeit. Fischer ist künstlerisch und von der Arbeitsweise her konkurrenzlos rund um seinen Heimatort, auf dessen Fluren so manches Feldkreuz steht, das dem einstigen Schulhaus entsprungen ist. 'Ich kenne zwar ein paar Hobbyschnitzer in näherer Umgebung, aber keinen, der eine Ausbildung hat', erzählt Fischer. Zehn Jahre, nachdem er seine erste Figur fertig gestellt hatte, besuchte er doch einmal einen Bildhauerkurs: 'Das war aber eigentlich zu spät. Da hatte ich mir die Fehler schon angeeignet'. Die stören nicht. Fischer schafft, 'was der Kunde wünscht'. Wie viele Heiligen- und Krippenfiguren, Grab- oder Feldkreuze, Reliefs, Türornamente, Monogramme und Schützenscheiben seinen Händen entsprungen sind, hat er nicht gezählt. Ein paar hat er in einem Fotoalbum festgehalten. An seine erste Figur aber erinnert er sich noch sehr gut: 'Ein Mönch mit Bierkrug, das war damals der Renner. Heute sind Mönche total out', erzählt Fischer. Der Mönch war besagtes Geburtstagsgeschenk.