Es beginnt soeben zu dämmern, rings um die Altusrieder Freilichtbühne. Kunstnebel-Schwaden pfeifen aus den Düsen am Bühnenboden. Blaulichtige Scheinwerfer-Spots schneiden scharfe Strahlen in den Nebel. Musik setzt ein, E-Bass, Gitarre, Keyboard, Drums – einfache Moll-Akkorde dröhnen aus Mega-Boxenbatterien, jeder Basston ein Böllerschuss, jeder Trommelschlag ein Donnerschlag.
Acht Kapuzenmönche in samtschwarzen Kutten schreiten zügig paarweise auf die Bühne, im Takt der Musik. 'Aaaah, uuuuh …', tönt es unisono aus den Männerkehlen. Dann begrüßt der Vorsänger die rund 1800 Besucher auf den Rängen der Freilichtbühne mit deutlich englischem Akzent: 'Willkommen zum ersten Gregorian-Konzert in Deutschland in 2012!'
Nebel und eine Prise Erotik
Dann taucht eine Lady in lang-schwarzen Locken auf. Blasses Gesicht, rot geschminkte Lippen, kniehohe Stiefel, dunkelblaues Kuttenkleid. Aber eines, das gucklochartig ausgeschnitten den Blick freigibt auf seidenbestrumpfte Oberschenkel. Amelia Brightman heißt die Lady. Ihre Schwester Sarah Brightman landete im Duett mit Andrea Bocelli 1996 einen Hit: 'Time To Say Goodbye'.
Amelia Brightman räkelt sich singend zwischen den umherwandernden Mönchsgestalten im wabernden 'Lichtorgel-Nebel'. Später werden die singenden Mönche die Lady an spinnenfingrigen schwarzen Gummiseilen zu sich heranzuziehen versuchen, einen Song lang …
Papst Gregor I. lebte im 6. Jahrhundert. Kirchenliturgischer, 'gregorianischer' Gesang seiner Zeit war einstimmig, unbegleitet, gesungen im Wechsel von Altarsänger, Chor und Gemeinde. 'Gregorian' ist eine Erfindung des Hamburger Autodidakten und Musikproduzenten Frank Peterson.
Er hatte die Idee, Pop- und Rock-Hits von einem Dutzend ausgebildeter Sänger nachsingen zu lassen – allerdings in Mönchsgewändern und in einer Bühnen-Choreografie schreitender Geistlicher, begleitet von einer Pop-Band. Obwohl nicht in den Top Ten, kennen Millionen Menschen 'Gregorian', den kirchenhallig gewitternden 'Wellness-Sound' im mystischen Ambiente des 'Gothic Style' schwarz-düsterer Mönchsgewänder. Stimmungsstarke Rock-Balladen eignen sich natürlich optimal für solche Show-Acts mit Fackelschein und leuchtenden Trommelstöcken. 'The Raven' aus Alan Parsons 1976er Poe-Projekt 'Tales Of Mystery And Imagination' ist dabei. 'Stairway To Heaven' von Led Zeppelin, auch Robbie Williams’ 'Angels'.
'This is our version of Whiter Shade Of Pale', verkündet der Vorsänger gegen Schluss. Aber im Vergleich zum anonym mönchsbraven, wenn auch prächtig mehrstimmigen Männergesang hat doch Gary Brooker diesen Hit 1967 mit mehr Profil und authentischer, raubeiniger Persönlichkeit gesungen.
Acht Spiegel-Spots aus den Mönchshänden blenden blitzartig einen Schluss-Song lang fast schmerzhaft die Augen der Zuschauer. Hat das symbolische Bedeutung? Ist Produzent Peterson nur ein Blender? Und die pseudoreligiöse Mönchsverbrämung gecoverter Pop-Hits im Vergleich zu den Originalen eine aufgedonnerte Scheinblüte? Die mit religiösen Gefühlen spielt?
Wer weiß – jedenfalls sind die aufgekratzten Fans auch nach der vierten Zugabe nicht zufrieden, wollen noch immer hinter das kultische Geheimnis der singenden Mönche kommen. Vielleicht ist da aber gar keines?