Kempten (mori). - 1853 am 1. Weihnachtstag: Auf Anregung von König Max II. treffen sich in München Staatsbeamte, Geistliche beider Konfessionen, Industrielle, Wissenschaftler und Privatpersonen, um den 'St. Johannisverein für freiwillige Armenpflege in Bayern' zu gründen. In sechs Jahren schließen sich 634 Vereine mit 88000 Mitgliedern dem Johannisverein an. Heute trägt in ganz Bayern nur noch ein Verein den geschichtsträchtigen Namen: das Diakonische Werk/Johannisverein Kempten. Deshalb wird in Kempten auch das 150-jährige Bestehen gefeiert. Am Samstag, 10. Januar, feiert der Kemptener Verein um 15 Uhr das 150-jährige Bestehen des Johannisvereins in Bayern mit einem großen Festakt in der St.-Mang-Kirche. Unter anderem nehmen daran Landesbischof Dr. Johannes Friedrich und Bayerns Innenminister Dr. Günther Beckstein teil. Gleichzeitig erscheint ein Lesebuch, das mit Dokumenten, persönlichen Erinnerungen und geschichtlichen Daten die 150 Jahre Revue passieren lässt. Ein Blick in die Chronik: Der Zweigverein in Kempten entstand keine drei Monate nach der Gründung des Zentral-Vereins, nämlich am 12. März 1854. Maßgeblich beteiligt daran war Dekan Johann Friedrich Linde. Er hatte selbst seine Kindheit in großer Armut zugebracht. Durch die Hilfe von Fürstin Mathilde Therese von Thurn und Taxis wurde ihm aber die Aufnahme ins Regensburger Gymnasium und ein Theologie-Studium ermöglicht. 1849 kam er an die evangelische St.-Mang-Kirche in Kempten. Damals war die Stadt durch die Industrialisierung in einer tiefen Umbruchsituation. Der Strukturwandel in Landwirtschaft, Textilindustrie oder Papierherstellung war im Gange. Von Anfang an kümmerte sich Linde um Arme und Kranke in seiner Gemeinde. Er holte dazu Diakonissen der Dettelsauer Schwestern nach Kempten, die die Versorgung der evangelischen Patienten übernahmen. Mit der Gründung des Johannisvereins berief Linde eine Diakonissin 'als Pflegemutter' für die von Verwahrlosung bedrohten Kinder. 1863 wurde von 15 Kindern berichtet, 1889 waren es 28 und weitere sechs Jahre später hatte sich die Zahl nahezu verdoppelt. Gekümmert wurde sich um die 'Josler' - so nannte man die Kinder im Johannisverein Kempten - zunächst in einer kleinen Mietwohnung, später in einem Teil des städtischen Schießhauses und schließlich ab 1899 in einem eigenen Haus im Freudental. Noch heute steht dieses Gebäude - nach mehreren Umbauten, Renovierungen und Erweiterungen - im Dienste der Bedürftigen: Aus dem Kinderheim entwickelte sich das heutige Alten- und Pflegeheim 'Wilhelm-Löhe-Haus'.
Weitere Aufgaben übernommen Fast bis in die jüngste Gegenwart blieb der Johannisverein ein eigenständiger Verein. Er war der größte Verein der evangelischen Kirche in der Illerstadt, führte das Altenheim und das Jugendheim 'Matthias-Claudius-Haus' (das heutige Bezirkskrankenhaus). Hinzu kam der Verein für Innere Mission mit einem Schülerheim, das Diakonische Werk mit seiner 'offenen Arbeit' und der ökumenische Verein 'Kinderheim Kempten'. 1975 fusionierten diese vier Vereine, um effektiver arbeiten zu können. Der neue Verein hieß Diakonisches Werk/Johannisverein. Im Folgenden wurde das Altenheim erweitert sowie das Haus Lichtblick und die Stiftung Lichtblick zur finanziellen Absicherung der sozialen Leistungen geschaffen. Das Diakonische Werk/Johannisverein ist in Kempten der größte Träger von Kindertagesstätten. 540 Kinder im Alter von neun Monaten bis 13 Jahren gehen dort ein und aus und schreiben die Geschichte der 'Josler' weiter. Daneben hilft der Verein den Armen, denn auch die gibt es heute noch in der Region.