,,Das Wohnhaus, das ist fertig jetzt', besangen die Bewohner vielstrophig nach der Dornröschen-Melodie das Ereignis am Alten Bahnhof: Das gemeinsame Haus von Lebenshilfe und Wahlfamilie wurde eingeweiht und öffnete die Türen für die Bevölkerung. ,,Oh, ist das aber schön", bewunderten Besucher die Räume, die wie aus einem modernen Möbelkatalog und dennoch gemütlich wirken. ,,Ich möchte gar nicht mehr in meine Wohnung zurück", bemerkte ein anderer Gast nicht frei von Neid.
Ein massiver Holztisch hier, eine hölzerne Sitzbank dort, originell aus einem alten Bootsrumpf geschnitzt, Sitzecken mit grünen und blauen oder bordeauxroten Polstern, verwitterte vielschubladige Kommoden, große Fenster: ,,Wir haben viel Wert gelegt auf Natürlichkeit, auf Licht, Wärme und Nachhaltigkeit", erklärt Hartmut Höger, Geschäftsführer der Lebenshilfe Sonthofen. 22 Menschen mit Behinderung wohnen im Erdgeschoss sowie im ersten und zweiten Obergeschoss. Jeder verfügt über ein eigenes Zimmer, jeweils vier bis fünf Bewohner teilen sich einen offenen Gemeinschaftsraum, auf jeder Etage gibt es eine große Küche für alle.
Im dritten und vierten Obergeschoss haben sich neun Mitglieder der Wahlfamilie eingerichtet. ,,Mir geht's gut", lächelt Emma Uhl (85) aus Sonthofen. Bereitwillig schließt sie ihre hübsche Zweizimmer-Wohnung auf. ,,Klein, aber schön", strahlt sie und führt den Besucher in den hellen Wohn- und Essraum mit dem Balkon und der tollen Sicht über die Hauserdächer hinweg auf die Hindelanger Berge. Helga Götz (57) kann sich gut vorstellen, hier mit ihrem Mann mal einzuziehen. ,,Ich find' das eine super Einrichtung", sagt Tochter Sabrina (27).
Eine Einrichtung mit einem besonderen Konzept, wie Joachim Wawersich, Vorstand der Lebenshilfe, bei der Einweihung durch Stadtpfarrer Karlheinz Müller und seinen evangelischen Amtskollegen Wolfram Henning erläuterte. Das Stichwort heiße Inklusion: Menschen mit und ohne Behinderung, Junge und Ältere leben gemeinsam unter einem Dach.
,,Das hört sich toll an", meinte Geschäftsführer Höger. Aber es gehöre viel Mut dazu, das Konzept zu verwirklichen: ,,Das ist ein Prozess, auch bei uns gab es viele Ängste und Fragen." Rosemarie Ehlen-Orlando, Vorsitzende der Wahlfamilie, nickte: ,,Das war auch für uns etwas ganz Neues."

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Im Stadtrat sei das Konzept ebenfalls kontrovers diskutiert worden, erklärte Wolfgang Deppe, Sonthofens dritter Bürgermeister. Doch plötzlich habe ,,jeder die Idee kapiert" und eine große Mehrheit für einen Zuschuss zum Inklusionsraum gestimmt, einer Begegnungsstätte im Erdgeschoss für Bewohner und Öffentlichkeit. ,,Es ist meine persönliche Überzeugung, dass die Inklusion zukunftsweisend ist", sagte Deppe. ,,Momentan einmalig in Deutschland", betonte Bauherr Martin Kaiser, Geschäftsführer des Sozialwirtschaftswerks (SWW).
Festrednerin Monika Haslberger, Vorstandsmitglied der Lebenshilfe Bayern, bezeichnete das Haus als ein gutes Beispiel für soziales Wohnen in der Stadt.