'Die Mark Brandenburg ist im Ostallgäu angekommen!' Auf diesen prägnanten Nenner bringt der Pfrontener Mediziner Dr. Dirk Stender die Entwicklung bei den Hausärzten in der Region. Mittlerweile gibt es in der Gemeinde zwei freie Arztstellen, für die sich kein Nachfolger findet. Ein Jahr nach der Drohung der bayerischen Hausärzte, geschlossen aus dem Kassensystem auszusteigen, bezeichnet Stender deren Stimmung auf Nachfrage unserer Zeitung mit 'Resignation'.
Auch Dr. Andreas Feil aus Füssen, Obmann der niedergelassenen Kassenärzte, berichtet, dass es für junge Mediziner immer unattraktiver werde, mit hohem Kostenaufwand eine eigene Praxis einzurichten. Schließlich könne man nicht mehr sicher sein, dass sich die Investition rentiere oder später ein anderer Arzt die Praxis übernimmt. 'Damit bricht ein Teil der Altersversorgung weg', so Feil. In Schwangau zum Beispiel fand sich kein Nachfolger für Dr. Wolfgang May. Wie berichtet, wechselte der Internist vergangenes Jahr an eine Klinik. Bei weiteren Fachärzten deuteten sich Probleme an, Nachfolger zu finden.
In Pfronten sind derzeit in zwei hausärztliche Gemeinschaftspraxen Stellen unbesetzt. Dabei würde man einem jungen Kollegen, nach dem man seit Monaten bundesweit suche, sogar besondere Bedingungen bieten, so Dr. Stender, der eine frühere Dreierpraxis derzeit mit einer Kollegin betreibt. So könne man zusammen mit der St. Vinzenz Klinik einem jungen Arzt anbieten, jeweils zur Hälfte in der Gemeinschaftspraxis und im Krankenhaus zu arbeiten.
Angst vor Verschärfung
Mittlerweile fürchtet der 67-Jährige um einen geordneten Übergang, sollte er selbst einmal in den Ruhestand wechseln. Die Belastungen durch Not- und Nachtdienste oder die gegenwärtige Grippewelle spüre er mittlerweile deutlich. Nachdem in Pfronten nur noch zwei Hausärzte zur Altersklasse U 50 gehören, befürchtet Stender, dass sich das Problem in den nächsten Jahren verschärfen wird.
'Wir haben einen Fachkräftemangel', bekräftigt Dr. Feil. Dass mittlerweile nicht einmal die Hälfte der Medizinstudenten im Heilberuf ankommt, liege auch daran, dass trotz hoher Arbeitsbelastung die wirtschaftliche Existenz immer unsicherer werde. Dass aus Sicht der Krankenkassen die Region sogar überversorgt sein soll, führt er auf Statistikprobleme zurück: 'Der Bedarfsplan ist mittlerweile rund 20 Jahre alt', so Feil.
Mit insgesamt 136 Hausärzten im gesamten Ostallgäu einschließlich Kaufbeuren ist die Region laut Pressereferentin Verena Stich von der Kassenärztlichen Vereinigung zu 110,4 Prozent versorgt. Neue Arztpraxen dürfen damit derzeit nicht eröffnet werden. In den bestehenden wächst unterdessen der Druck, beklagt Feil. 'Bei aller Freude am Beruf' gehe man an die Belastungsgrenze.
Dazu trage auch die wachsende Bürokratie bei und die ständige Sorge, von den Kassen in Regress genommen zu werden, weil man etwa zu viele Medikamente verordne. Dabei habe man es doch mit Patienten zu tun und nicht mit Kunden.
Für den Pfrontener Hausarzt Dr. Klaus Wenzler war der Wunsch, sich mehr Zeit für Patienten nehmen zu können, der Anlass, sich vor gut 13 Jahren aus dem Kassensystem zu verabschieden. Doch nicht nur Privatversicherte kommen in seine Praxis, die auf Naturheilverfahren als Nische setzt, sondern auch Kassenpatienten – als Selbstzahler. 'Es gibt zunehmend Menschen, denen es etwas Wert ist, wenn sich der Arzt Zeit für das Gespräch mit ihnen nimmt', erzählt Wenzler.
Dass auch er mehr verdienen könnte, würde er verstärkt auf Geräte setzen, nimmt er in Kauf. Auch der Lotsenfunktion eines Hausarztes kann er seiner Überzeugung nach nur außerhalb des gegenwärtigen Kassensystems gerecht werden. Vor allem aber freue er sich, Abhängigkeiten und Zwänge gegen die Freiheit getauscht zu haben und so als Mediziner arbeiten zu können, wie er es sich vorstelle.