Kempten: "Der Weg zum Priestertum verläuft heute kaum noch geradlinig"

16. Januar 2009 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung
ralf lienert

Nachgefragt - Der neue katholische Dekan Dr. Michael Lechner über Pfarrermangel, Rückgang von Gläubigen und die Situation im Dekanat

Dr. Michael Lechner, Stadtpfarrer von St. Lorenz, wurde zum neuen Dekan des katholischen Dekanats bestimmt. Am Sonntag, 25. Januar, 19 Uhr, wird er in der Basilika von Generalvikar Karlheinz Knebel in sein Amt eingeführt. Wir sprachen mit ihm über seine Aufgaben und die Situation im Dekanat Kempten.

Was macht eigentlich ein Dekan?

Lechner: Er leitet ein Dekanat und vertritt es nach außen. Das Dekanat Kempten umfasst 14 Pfarreiengemeinschaften und fünf Einzelpfarreien mit insgesamt 88000 Katholiken und etwa 90 Mitarbeitern (Pfarrer, Diakone, pastorale Mitarbeiter, Ruhestandsgeistliche). Als Dekan leite ich deren monatliche Zusammenkünfte, bin Ansprechpartner für Belange der Seelsorge und bei persönlichen Fragen im Umfeld des Berufes. Zugleich soll der Dekan Bindeglied zum Bischof und zur Diözese sein.

Wie lange sind Sie gewählt?

Lechner: Auf sechs Jahre.

Wie viele Pfarreien haben Sie zu betreuen?

Lechner: Ich selbst habe das Glück in St. Lorenz nur für eine Pfarrei zuständig zu sein. Das entlastet von vielen Doppelungen. Andererseits hat St. Lorenz ein eigenes Profil, das wieder Kräfte bindet.

Im Dekanat gibt es viele Pfarrer aus dem Ausland. Ist es schwierig, junge Leute fürs Priesteramt zu gewinnen?

Lechner: Der Priesternachwuchs ist wirklich ein großes Problem. Falls dieser Beruf für junge Menschen überhaupt in den Blick kommt, ist er noch mit spezifischen Hürden versehen. Der Weg zum Priestertum verläuft heute kaum noch geradlinig, sondern über ein anderes Studium oder einen anderen Beruf. Solche Erfahrungen sind sicher gut, aber junge Kapläne werden dadurch seltener. Insgesamt haben wir zu wenig junge Menschen, die den Priester- oder Ordensberuf eingehen wollen.

Die Konsequenz ist eine ungute Lastenverteilung auf den Schultern derer, die heute diesen Dienst tun und mitunter von der Situation frustriert sind.

Ist Ihr Dekanat gut mit Geistlichen versorgt?

Lechner: Das Dekanat ist - auf niederem Niveau - gut versorgt. Es findet derzeit ein Generationswechsel statt: Altgediente Pfarrer gehen in Ruhestand.

Immer mehr Menschen kehren der Kirche den Rücken. Muss sich die katholische Kirche ändern, um wieder mehr Gläubige zu gewinnen?

Lechner: Das ist ein sehr komplexes Phänomen, das nicht nur die Kirche betrifft, sondern alle großen Institutionen. Das zeigt, dass es für unsere Gesellschaft immer schwieriger wird, Bindekräfte zu entwickeln und die Frage zu beantworten, was uns eigentlich geistig zusammenhält. Innerhalb dieses breiten Phänomens gibt es natürlich spezifisch kirchliche Probleme.

Ich bin überzeugt, dass sich die Frage der Lebendigkeit der Kirche nicht vom institutionellen Kleid her beantworten lässt, das man mal so und mal so überziehen kann. Ständiger Kleiderwechsel führt nur zu einem vollen Kleiderschrank. Die Frage der Lebendigkeit entscheidet sich vielmehr darin, ob für die Menschen die Gottesfrage wieder in den Raum des Lebens tritt. Die Lebendigkeit der Kirche beginnt mit der Lebendigkeit Gottes im Herzen der Menschen und der Frage, ob sich daraus eine christliche Lebensgestalt entwickelt. Hier stehen wir vor einer Renaissance des Christentums in Europa.

Wie geht es dem Stadtpfarrer von St. Lorenz mit Citypastoral?

Lechner: Wir stehen erst am Anfang. Im April eröffnen wir mit der Caritas die Räume für die Cityseelsorge mit dem Café zum Hofgarten hin. In diesen Räumen wird auch das Mütter- und Familienzentrum angesiedelt. Wir wollen eine unkomplizierte Begegnungsebene, aber vor allem für Menschen, die mehr wollen, Ansprechpartner sein. Deshalb gibt es auch ein breites Angebot - vom Persönlichkeitsseminar bis zum Auszeitwochenende.

Was wird besonders angenommen (Beispiel Mittagsmessen)?

Lechner: Eigentlich wird alles gut angenommen. Die Mittagsmessen um 12.15 Uhr von Montag bis Freitag sind ein besonderes Experiment, um Gebet und Arbeitsleben miteinander zu verbinden.

Wie geht es Ihnen persönlich als Stadtpfarrer?

Lechner: Ich bin ja was meine Pfarrerstätigkeit betrifft ein Quereinsteiger. Meine bisherigen Tätigkeiten und persönlichen Interessen waren in ganz anderen Feldern angesiedelt. Insofern ist meine Arbeit hier in Kempten auch für mich ein persönliches Experiment. Doch ich glaube, durch mein Hiersein weder mir noch der Pfarrei größeren Schaden zuzufügen.

Haben Sie noch Zeit für Freizeit?

Lechner: Neben Fahrradfahren im Sommer ist es für mich am schönsten, Zeit zum Lesen zu haben.