Es ist die Normalität, die den Unterschied macht: Da ist kein mannshohes Drehkreuz mehr und kein Sicherheitsdienst, der das Gebäude abriegelt. Die Eingangstüren, die hineinführen ins neue Asylbewerberheim, sehen aus wie hunderte Türen an Kemptener Mietshäusern. Ein halbes Jahr ist vergangen, seit die 108 Asylbewerber vom - inzwischen abgerissenen - Kunzhaus in der Bahnhofstraße in den Rübezahlweg gezogen sind. Und wer nicht weiß, dass es sich bei den braunen Gebäuden mit dem Spielplatz davor und den Vogelhäuschen auf den Balkonen um ein Asylbewerberheim handelt, der würde wohl nicht darauf kommen.
"Die Qualität der Wohnsituation ist auf jeden Fall gestiegen", sagt Klaus Hackenberg von der Asylberatung der Diakonie. So mussten sich im alten Hochhaus 48 Menschen ein einziges Bad teilen. "Man kann sich vorstellen, wie leicht es da zu Spannungen kommt", erzählt Hackenberg.
Im Rübezahlweg - die Gebäude liegen zwischen dem Schumacherring und dem Marienheim für Senioren - leben die über 100 Menschen in 19 Wohnungen zusammen. Beengter zwar als in der Bahnhofstraße, dafür hat jede Wohnung ein Bad. Im hinteren Gebäude wohnen die alleinstehenden Männer, im vorderen sind Familien untergebracht.
Blumen im Hausgang
Diese Entzerrung, sagt Hackenberg, tue den Menschen gut. "Manche haben nun Blumen im Hausgang - das wäre im Kunzhaus undenkbar gewesen", erzählt er.
Auch die früheren Eingangskontrollen - Ende der 90er aufgrund massiver Drogenprobleme eingeführt - gehören der Vergangenheit an. "Deshalb hatten die Nachbarn zunächst große Bedenken", sagt Hackenberg. In den vergangenen Monaten habe es jedoch keinerlei Schwierigkeiten gegeben. Allerdings kämpfen die Bewohner im neuen Zuhause weiter mit etlichen alten Problemen. Zum Beispiel damit, dass die im Heim lebenden Kinder zwar laut Gesetz schulpflichtig sind, ihnen pro Jahr aber nur 31 Euro für Schulbedarf zur Verfügung stehen. "Vor jeder Klassenfahrt telefonieren wir herum und versuchen Geld aufzutreiben", berichtet Hackenberg. Auch vor Einschulungen müsse man jedes Mal auf "Betteltour" gehen.
Für Abdullah (zehn) und seine zwölfjährige Schwester Fatma hat der Umzug in den Rübezahlweg eine weitere Schwierigkeit mit sich gebracht: Die beiden besuchen die Volksschule bei der Hofmühle. Da Busfahrten für die Kinder von Asylbewerbern laut Hackenberg nicht bezahlt werden, müssen die beiden nun jeden Morgen den weiten Weg zur Schule laufen.
Ein gutes Dutzend Kinder
Ein gutes Dutzend Kinder wohnt derzeit im Asylbewerberheim. Für die ganz Kleinen hat Hackenberg einen Spiel- und Beschäftigungsraum eingerichtet. Dort findet samstags eine ehrenamtlich organisierte Betreuung statt. Im Keller darunter ist ein Unterrichtsraum mit Tafel untergebracht, in dem die Erwachsenen freiwillig Deutsch lernen.
Geblieben sei indessen das "Problem" der Essensausgabe: Die Hausbewohner kaufen ihr Essen nicht selbst ein, sondern müssen auf Listen vorgegebene Lebensmittel ankreuzen. Zusammengestellt sind diese anhand des durchschnittlichen Kalorienbedarfs von Erwachsenen und mit Hilfe ernährungswissenschaftlicher Erkenntnisse. Für eigene Vorlieben bleibe da kaum Platz. "Man muss zum Beispiel eine bestimmte Menge Fleisch ankreuzen und kann sie nicht etwa durch Nudeln ersetzen", sagt Hackenberg.