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Erinnerung an eine unglaublich gespenstische Situation

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Erinnerung an eine unglaublich gespenstische Situation

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    Erinnerung an eine unglaublich gespenstische Situation
    Erinnerung an eine unglaublich gespenstische Situation Foto: privat

    Von Veronika Krull |KleinwalsertalDer französische Diplomat André François-Poncet war zum Ende des Zweiten Weltkriegs etwa anderthalb Jahre lang gemeinsam mit weiteren prominenten Persönlichkeiten im Ifen-Hotel zu Hirschegg arretiert (wir berichteten). Einblicke in diese Zeit gewährt das Tagebuch Poncets, aus dem der Schauspieler und Synchronsprecher Bodo Primus am Mittwoch, 11. Juni, im Walserhaus - erstmals auf deutsch - vortragen wird. Die Lesung wird begleitet von einer Collage aus Bild- und Tondokumenten. An der Veranstaltung wird auch Jean François-Poncet, der Sohn des Autors und ehemaliger französischer Außenminister, teilnehmen. Bodo Primus beantwortete vorab einige Fragen.

    Das Tagebuch des Herrn Poncet liegt bislang nur auf Französisch vor. Warum gibt es keine deutsche Version?

    Bodo Primus: Da fragen Sie mich zu viel. Aber auch mich wundert es, weil Poncet nach dem Krieg sehr beliebt war in Deutschland. Er gehörte zu der Gruppe französischer Politiker, die sich der Versöhnung verschrieben hatten. Und auf Grund seiner Bildung hatte er durchaus etwas für Deutschland übrig.

    Sie werden ausgewählte Passagen lesen. Welche Probleme kommen darin zur Sprache?

    Bodo Primus: Zur Sprache kommen die Landschaft und die Menschen, mit denen er dort zu tun hatte. Poncet beschreibt sehr genau die landsmannschaftlichen Eigentümlichkeiten der Bewohner des Tals. Er berichtet auch über den Fortgang des Krieges, obwohl die Informationen, die er bekam, gesiebt und sehr spärlich waren. Er lebte ja in einer Art von Gefangenschaft. Diese Situation des Halbwissens, etwa von den Ereignissen des 20. Juli, ist hier sehr atmosphärisch dargestellt. Und er beschreibt die Menschen, die mit ihm interniert waren: Sie kamen aus Rumänien, Italien, darunter war auch die spätere Königin von Griechenland. Das war eine bunte Gesellschaft. Man könnte sagen: Menschen im Hotel, interessante und merkwürdige Leute. Im Großen und Ganzen kann man festhalten: Wenn es nicht die Freiheit gewesen wäre, die er vermisste, hat er sich dort ganz wohl gefühlt.

    Was hat Sie an dem Zeitdokument besonders beeindruckt?

    Bodo Primus: Es geht ja um die Endphase des Krieges, die dort beschrieben wird, aber aus einer idyllischen Situation heraus. Das ist unglaublich gespenstisch: Die deutschen Städte liegen in Trümmern, die Russen stehen vor Berlin - beobachtet von jemandem, der sich im Kleinwalsertal in illustrer Gesellschaft befindet. Diese Diskrepanz ist sehr, sehr faszinierend.

    Der Sohn des Autors wird an diesem Abend anwesend sein. Kennen Sie ihn bereits? Haben Sie Fragen an ihn?

    Bodo Primus: Ich werde ihm an dem Abend zum ersten Mal begegnen. Fragen habe ich mir nicht zurechtgelegt, die werde ich spontan stellen. Wenn man einen Menschen nicht kennt, weiß man nicht, ob die Chemie stimmt oder nicht. Stimmt die Chemie, ergeben sich Gespräche von selbst.

    In Ihren Lesungen beschäftigen Sie sich häufiger mit Themen aus dem 'Dritten Reich'. Warum?

    Bodo Primus: Je älter ich werde, desto fassungsloser bin ich, dass so etwas wie das 'Dritte Reich' möglich war. Ich war gegen Kriegsende ein Kind von sieben Jahren und habe vieles erlebt: Meine Familie wurde ausgebombt in Oberschlesien, ich war verschüttet, habe gesehen, wie eine Kinderschar durch eine Luftmine zerrissen wurde, ich kam in ein Flüchtlingslager. Ich habe die lange Zugfahrt Richtung Westen miterlebt, wo wir in den Waggons eingepfercht waren wie die Spargelstangen, ohne die Möglichkeit, auf die Toilette gehen zu können. Ich habe gesehen, wie mein Vater mit gezogenem Revolver in dem Chaos meine Schwester wieder herbeigeschafft hat. Das sind nachhaltige, traumatische Erinnerungen. Deswegen interessieren mich diese Dinge so sehr.

    Termin: Bodo Primus liest am Mittwoch, 11. Juni, um 20.30 Uhr im Walserhaus in Hirschegg/Kleinwalsertal.

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