Wenn jetzt am Bodensee offiziell die Zeit der Apfelernte eingeläutet wird, wissen die Landwirte schon vorher sehr genau, wie viele Früchte am Ende in ihren Körben landen werden. Seit rund 45 Jahren wird für die Prognose eine Schätzmethode genutzt, deren Prinzip in der Region erfunden wurde - und mittlerweile auch bei der europaweiten Ernte zum Einsatz kommt.
So funktioniert die Schätzmethode "Gucki"
Die Methode sei simpel, aber zuverlässig, sagt der Leiter des Kompetenzzentrums Obstbau Bodensee (KOB), Manfred Büchele. "Man sucht sich zwischen 50 und 100 repräsentative Obstanlagen in der Region aus, schaut willkürlich durch eine Art linsenloses Fernglas in eine Reihe und zählt die Äpfel an ein paar Bäumen", erklärt der Apfelexperte. Das Fernglas wird auch "Gucki" genannt. Der Ertrag einer Kultur lasse sich aber nur richtig schätzen, wenn man sich nicht gezielt die Bäume mit den meisten Äpfeln suche, sondern sich schon vorher überlege, in welche Reihe man zu welchem Baum gehe. Je nach Größe würden zwischen fünf und sechs Äpfel ein Kilogramm ergeben. "Der Standardapfel wiegt 180 Gramm." Anhand der Schätzungen der einzelnen Bäume in den Betrieben werde dann der Ertrag für die ganze Region hochgerechnet. "So ähnlich wie bei einer Bundes- oder Landtagswahl", sagt Büchele. Und wie bei den Wahlen seien die Prognosen der Ernte ziemlich genau. Abweichungen von nicht mehr als zwei Prozent seien die Regel.
Methode in den 70er Jahren am Bodensee entwickelt
Ausgedacht habe sich das Verfahren in den 70er Jahren ein Ökonom und Marktwirtschaftler, der für die Universität Hohenheim in Bavendorf bei Ravensburg gewesen sei. Um zu wissen, wie sich die Apfelpreise entwickeln würden, habe die Branche Angebot und Nachfrage im Blick haben müssen - und das gleich zu Beginn der Saison, erklärt Büchele. "So ist man auf die Idee gekommen, so eine Methode überhaupt entwickeln zu müssen."
Ertrag der Apfelernte am Bodensee 2023: Etwa 220.000 Tonnen
Für die diesjährige Ernte gehen die Apfelexperten von 220.000 Tonnen für die Bodensee-Region aus - etwas weniger als im Vorjahr. Eine genaue Einschätzung der Qualität und der Wetterfolgen wollen die Erzeuger bei der offiziellen Eröffnung der Apfelsaison am Mittwoch in der bayerischen Bodensee-Gemeinde Nonnenhorn geben. Geschätzt werde die Ernte immer zwischen Ende Juli und Anfang August - und das europaweit, sagt Büchele. Früher habe sich das Institut in Bavendorf um die Schätzung gekümmert, doch mittlerweile sei die Aufgabe an die Obstwirtschaft übergegangen. "Die Methode wird inzwischen hochprofessionell von einem europäischen Konsortium in Zusammenarbeit auch mit der Wapa (World Apple and Pear Association) angewandt und ist seither auch modifiziert worden", erklärt Büchele. "Aber das Grundprinzip stammt aus Bavendorf."

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Polnische und italienische Erzeuger dominieren
Der europäische Apfelmarkt wird laut KOB von polnischen und italienischen Erzeugern dominiert. Der Bodensee ist neben dem Alten Land in Hamburg und Niedersachsen eines der wichtigsten Anbaugebiete in Deutschland. Die Ernte am Bodensee läuft bis November. Die Nachfrage nach Äpfeln liegt in Deutschland bei rund 1,5 Millionen Tonnen im Jahr. Im Inland werden rund eine Million Tonnen produziert. Der Rest wird importiert. Seit rund 60 Jahren seien Äpfel das ganze Jahr verfügbar, sagt Büchele. Dazu habe vor allem die Lagerforschung beigetragen. Äpfel seien wie Bananen. "Sie reifen nach und sind bei entsprechender Lagerung sehr lange haltbar". "Statistisch isst jeder Mensch in Deutschland alle vier Tage einen Apfel", sagt Büchele. Nach wie vor seien rote Äpfel am begehrtesten. "Je roter, desto besser." Am längsten halte die Frucht im Kühlschrank.